rapidite sondernummer zu 10 jahre
ekh (juni2000)
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Das Flugi zur Besetzung des EKH
Wir haben ein Haus besetzt
Am 23.6.90 haben wir, eine Gruppe ausländischer
und österreichischer AktivistInnenen Wielandgasse 2-4 besetzt. Das
Gebäude wurde in den zwanziger Jahren von tschechoslowakischen ArbeiterInnen
als Schule erbaut. Seit 1945 ist das Objekt in Besitz der KPÖ. Seit
Jahren ist ein Großteil des Räume unbenützt.
EIN ANTIFASCHISTISCHES ZENTRUM DURCHSETZEN
Warum haben wir gerade ein Haus der
KPÖ besetzt?
- Das Haus wurde von ArbeiterInnen
für ihre politischen und sozialen Ziele erbaut. Damit ist es ein
Teil der proletarischen, revolutionären Bewegung. Keine Partei oder
Gruppe hat den Alleinvertretungsanspruch für Weltrevolution und proletarisches
Eigentum. Wenn ein solches Objekt, in den Händen einer bestimmten
Gruppe, von dieser nicht oder nur teilweise benützt wird, so ist
es das Recht anderer Gruppen und Initiativen, die unbenützte Infrastruktur
für sich in Anspruch zu nehmen.
- Die KPÖ spricht von Erneuerung
und linkem Bündnis; wenn diese Worte ernst gemeint sein sollen, müssen
auch Taten folgen. Nämlich die massenhaft brachliegende Infrastruktur
zugänglich zu machen! Es geht uns aber nicht darum, der KPÖ
Unehrlichkeit und ähnliches vorzuwerfen, sondern wir wollen konkret
wissen, wie sie ihre Parolen umzusetzen gedenken.
Was wollen wir mit diesem Haus?
- Ein internationalistisches, antifaschistisches
Zentrum: das heißt für uns konkret, zusammen wohnen und politisch
arbeiten. Wir wollen nicht auf den St.-Nimmerleins-Tag verschoben wissen,
wir wollen unser Leben hier und jetzt in allen seinen Facetten genießen
können. Dafür brauchen wir ein Terrain, in dem wir experimentieren
können, versuchen, neue Formen des Zusammenlebens zu entwickeln.
Die ganze Scheiße und Kacke, mit der unser Leben von den Herrschenden
besetzt wird, mal versuchsweise abschütteln, um weitere Perspektiven
für eine andere Gesellschaft entwickeln zu können.
- Wir wissen natürlich auch, daß
wir uns von so einem Zentrum nicht das Gelbe vom Ei erwarten können,
wir werden viel zu arbeiten und zu kämpfen haben, bis wir einen Teil
unserer Träume in die Realität umsetzen können. Dafür
brauchen wir eben dieses Haus als Zentrum. Wir verlangen von allen Linken,
diese Positionen so weit zu akzeptieren, und uns keine Hindernisse in
den Weg zu legen.
- So fordern wir von der KPÖ in
der Perspektive einer anderen, menschlicheren Gesellschaft, dieses unbenützte
Haus uns zu überlassen.
Warum Ernst-Kirchweger-Haus?
Ernst Kirchweger wurde vor 25 Jahren
bei einer Demonstration von Nazis erschlagen. Angesichts der immer krasser
werdenden faschistischen Umtriebe, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus,
der Tendenz über Gen- und Reproduktionstechnologie eine Neo-Eugenik
zu festigen und vieles mehr, halten wir es für einen wesentlichen
Schritt, einem solchen Zentrum antifaschistischen Charakter zu geben.
Der Kampf gegen den Faschismus - egal, ob er offen zutage tritt, oder
versteckt sein Unwesen treibt - ist eine Grundvoraussetzung für den
Kampf um befreites Leben.
Das Leben zurückerobern!
Vor uns liegt eine Welt zu erfinden!
Die BewohnerInnen des Ernst-Kirchweger-Hauses.
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Flugi aus der EKH-Anfangszeit
Seit der Besetzung des Wielandschule
am 23.6. werden mit der KPÖ, als Eigentümerin, Verhandlungen
geführt. Es gibt einiges darüber zu sagen, wie diese Verhandlungen
geführt werden, und wie die Politik der KPÖ uns gegenüber
aussschaut. Mit diesem Flugi wollen wir der Öffentlichkeit und der
KPÖ-Basis erklären, warum wir diese Aktion durchgeführt
haben und wie die Parteileitung sich unseren Forderungen stellt.
ERNST-KIRCHWEGER-HAUS - GEMEINSAM
WOHNEN - GEMEINSAM ARBEITEN
Ein internationalistisches antifaschistisches
Zentrum
Wir, verschiedene österreichische
und ausländische Gruppen - AsylantInnen, Obdachlose, AktivistInnen
der Antifa-Bewegung u.a. - haben dieses Haus besetzt, um unsere Vorstellungen
von kollektivem Zusammenleben und -arbeiten verwirklichen zu können.
Das Haus im Besitz der KPÖ wird großteils nicht oder nur vorübergehend
benutzt. Wir fordern die leerstehenden Räume für uns und die
teilweise benützten zur gemeinsamen Arbeit gegen Faschismus, Rassismus
und Fremdbestimmung.
Die KPÖ bietet uns einen ziemlich heruntergekommenen Theatersaal
im Haus an - zur kulturellen Nutzung! Das ist wohl nicht das, was wir
uns vorstellen: Einen Saal zum Konzerte und Veranstaltungen organisieren
finden wir allemal (Arena, Flex, usw.). Wir lassen uns nicht auf die Ebenen
der irgendwie anderen Kultur wegdrängen. Ein bischen WUK, ein bischen
Underground - damit geben wir uns nicht zufrieden. Unser Kulturbegriff
umfaßt wesentlich mehr als unkonventionelle Konzerte und Theateraufführungen.
Kultur kann, wenn sie gesellschaftliche Verhältnisse verändern
soll, nicht als isoliertes Projekt betrachtet werden. Die Trennung des
Lebens in Arbeit - Freizeit; privat - politisch; kritisch nachdenken -
dumm vor sich dahindämmern; etc. ist eine wesentliche Grundlage der
Entfremdung und Ausbeutung.
Unser Ziel ist, diese Trennung zumindest teilweise aufzuheben. Die Gespräche
mit der bisherigen Verhandlungsdelegation - ohne irgendein Mandat oder
eine Entscheidungsbefugnis (!) - haben aber eher gezeigt, daß die
KPÖ uns in diese Trennung hineinpressen möchte.
Es kommt der Verdacht auf, daß die KPÖ nach wie vor - Erneuerung
hin oder her - auf politischen Alleinvertretungsanspruch pocht; wir können
uns kulturell herumspielen, alles andere checkt die KPÖ. Oder vielleicht
ist das wesentlich einfacher zu verstehen?
Gibt es da nicht kleinbürgerliche Ängste vor unserer subkulturellen
Lebensweise?
Andererseits müssen wir auch unterstellen, daß die KPÖ
als Verteidigerin ihres Besitzes, auch intrigant gegen uns vorgeht. Warum
werden die ausländischen GenossInnen in der KP-Presseerklärung
nicht erwähnt? Ist es vielleicht, im Falle einer gewaltsamen Räumung,
für die KPÖ politisch schwer zu vertreten, warum sie Flüchtlinge,
egal ob anerkannt oder nicht, auf die Straße setzt? Die Nichterwähnung
der ausländischen GenossInnen ist mit massiven Spaltungsversuchen
gepaart: Einzelnen GenossInnen werden bei Gesprächen irgendwo am
Gang, im Stiegenhaus, leerstehende KPÖ-Lokale angeboten!
Da stellen sich für uns einige
konkrete Fragen:
- Warum hat die KPÖ ausländischen
Organisationen bisher keine leerstehenden Objekte angeboten? Hat sie nichts
von der Not der AusländerInnen gewußt?
- Es wird nach wie vor das Wohnproblem, besonders der ausländischen
GenossInnen ignoriert.
- Wenn die KPÖ, im Rahmen ihrer politischen Erneuerung, ein breites
linkes Bündnis anstrebt, muß sie einerseits die unterschiedlichen
Herangehensweisen akzeptieren und darf andererseits nicht brachliegende
Infrastruktur zurückhalten (als Druckmittel?).
Währendessen die KPÖ hin-
und herkadert, setzen wir TATEN.
INSTANDBENÜTZEN STATT KAPUTTBESITZEN
BewohnerInnen des Ernst Kirchweger
Hauses
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-->top Flugblatt aus der Anfangszeit (ungefähr
1992) - sollte zur Information von Leuten, die neu einziehen und überhaupt
allen BesucherInnen dienen. Diese Flugi gab´s auch auf englisch und
französisch.
Ernst Kirchweger Haus BenützerInnen
Information
Dieses Papier richtet sich an alle
Gäste, BewohnerInnen und BenützerInnen des EKH und soll denen,
die die Geschichte des Hauses nicht kennen, später hierher kamen
oder nur kürzere Zeit hier sind, grundsätzliches erklären
und verschiedenste Mißverständnisse auf dem Weg räumen.
Dieses Haus, in dem ihr alle verkehrt,
hat weder Gott, noch eine Behörde, noch sonst ein Überwesen
geschaffen. Das Haus wurde im Juni 1990 von kurdischen KommunistInnen
(kämpfen für einen eigenen kurdischen Staat und gegen den Faschismus
in der Türkei) und österreichischen Autonomen (politische Gruppe,
die gegen Staaten als Herrschaftsinstrumente, patriarchale Gesellschaftsstrukturen,
Sexismus, Rassismus, Faschismus kämpft) besetzt, das heißt
in einer illegalen Aktion dem rechtmäßigen Besitzer (KPÖ
- Kommunistische Partei Österreichs) teilenteignet. Im April 91 gelang
es, für den dritten Stock und den Keller (Veranstaltungsbereich)
des Hauses Mietverträge zu erlangen (dies passierte auch aufgrund
interner Schwierigkeiten in der KPÖ).
Alle Gruppen und Personen, die das
Haus benutzen, tun dies unabhängig von Institutionen des österreichischen
Staates.
Der Besetzung des Hauses lag der Willen nach Schaffung eines internationalistischen,
antifaschistischen, multikulturellen Zentrums zugrunde. Unter diesem Titel
wurde die Besetzung dann auch politisch durchgesetzt. Seit damals kämpfen
wir um den Erhalt des Hauses, um ordentliche Mietverträge, um unsere
Benützungsrechte.
Das Ernst Kirchweger Haus soll ein
Haus für Menschen aus Österreich sein, die von hier aus politisch
arbeiten und agieren wollen. Das Ernst Kirchweger Haus soll ein Haus für
alle Gruppen und Menschen sein, die in ihren Zusammenhängen politisch
arbeiten und agieren wollen, ein Haus für Flüchtlinge außerhalb
von staatlicher Betreuung und Kontrolle, außerhalb von caritativer
Gnade. Ein öffentliches Haus für politische und kulturelle Aktivitäten,
ein Haus zum Mit-, oder wenigstens Nebeneinander Wohnen, selbstorganisiert
von seinen BenützerInnen.
Zu den ursprünglichen zwei BesetzerInnengruppen, Kurden und Autonome,
kamen im Laufe der Zeit ein Bereich für Flüchtlinge mit offenen
Asylanträgen (organisiert vom Flughafensozialdienst), eine Kindergruppe,
sowie der Verein Romano Centro (Roma und Sinti hauptsächlich aus
Jugoslawien), die sich heir vor allem kulturell organisieren, sowie immer
wieder Einzelpersonen oder Gruppen aus der politischen Linken.
Wir (Autonome) versuchen hier im Ernst
Kirchweger Haus mit allen hier wohnenden Menschen solidarisch zu leben,
politisch zu arbeiten, den Kulturbereich im Keller zu sanieren. Wir werden
aber andauernd in die Rolle von Hausmeistern oder Vermittlern zwischen
den verschiedenen Parteien gedrängt, sind gezwungen, die meisten
Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Außerhalb des Hauses sind
wir konfrontiert mit Behörden und Faschisten, innerhalb des Hauses
oft mit Gewalttätigkeiten, Sexismus und Chauvinismus, Intoleranz,
Vandalismus und Unverantwortlichkeit.
Die wenigsten der hier im Haus lebenden oder arbeitenden Menschen haben
Geld oder Arbeit. Wir sind die einzigen, die hier aufgrund der Verträge
Betriebskosten bezahlen, und zwar anteilsmäßig an allen Kosten
(das heißt, je unverantwortlicher mit Strom, Heizung, Infrastruktur
etc. im Haus umgegangen wird, desto mehr müssen wir bezahlen).
Noch einmal: das Ernst Kirchweger Haus
ist ein von staatlichen und caritativen Organisationen unabhängiges
Haus. Es gibt hier - und wir dulden hier - keine Chefs, keine Polizei,
keine Putzfrauen und keine Hausmeister. Es ist notwendig, daß wir
solidarisch und konstruktiv miteinander umgehen. Jede Person, die das
Haus benutzt, ist für das Funktionieren des Hauses und die Sicherheit
seiner MitbenützerInnen verantwortlich.
Um das zu erreichen ist es aber notwendig, daß wir nicht nur von
Selbstverantwortlichkeit reden, sondern auch danach handeln.
Wir wollen hier einige Themen ansprechen,
die uns für die gemeinsame Nutzung des Hauses wichtig erscheinen:
Das Gesellschaftssystem in Österreich basiert - wie fast überall
auf der Welt - auf der Unterdrückung eines Teils der Bevölkerung
durch einen anderen: der Unterdrückung von Frauen durch Männer.
Diese Auswüchse männerdominierter Gesellschaften zeigen sich
durch bestimmte Verhaltensweisen und ziehen sich bis tief in alle Lebensbereiche
hinein: Frauen werden weniger ernst genommen als Männer, Frauen werden
als "Dinge" behandelt, die ein Mann "besitzen" kann,
Frauen werden von Männern benützt, geschlagen, eingesperrt oder
vergewaltigt. Unser Bestreben muß es sein, gegen diesen Sexismus
und die patriarchalen Verhaltensweisen vorzugehen.
Ein Kampf um Befreiung, ein Kampf gegen Unterdrückung ohne Kampf
gegen Sexismus und Patriarchat ist kein revolutionärer Kampf!
Persönliche Konflikte öund
Streit müssen persönlich ausgetragen werden. Die Einschaltung
von Polizei bedeutet eine Anerkennung der staatlichen Repression. Die
meisten Leute im Haus haben Probleme mit Polizei oder Behörden, weil
sie von rassistischen Gesetzen bedroht werden oder weil ihre politische
einstellung nicht systemkonform ist. Deshalb: keine Polizei und Behörden
im Ernst Kirchweger Haus. Wir müssen lernen, selbst mit Konflikten
umzugehen.
Das schließt auch mit ein, daß wir selbst bestimmten, welche
Personen keinen Zutritt zum Haus haben (Faschisten, Leute, die nur Streit
suchen etc.). Interne Konflikte und Streits müssen ohne Gewalt gelöst
werden können.
Schwierigkeiten ergeben sich auch immer
wieder in bezug auf die Sauberhaltung des Hauses. Es ist notwendig, daß
alle Leute, die Bereiche, die sie benutzen, auch rein halten (WC, Gang,
gemeinsam benutzte Räume, Mülltrennung etc.).
Noch einmal: wer im Ernst Kirchweger Haus Frauen
diskriminiert, Streit mit Gewalt lösen will, faschistisch oder rassistisch
spricht oder handelt oder seine "Geschäfte" macht, hat
von unserer Seite mit ernsten Schwierigkeiten und Rauswurf zu rechnen!
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Zur Praxis des neuen Fremdengesetzes
Am 8.1.1993 wurde das Fremdengesetz,
das seit 1.1.93 in kraft ist, in der Praxis geübt.
Gegen 23 Uhr stürmten Polizisten
verschiedener Abteilungen (Alarmis und Zivile) den 4. Stock des antifaschistischen
Zentrums Ernst-Kirchweger-Haus in Wien 10, Gudrunstraße/Wielandgasse.
Der angebliche Grund dieser Hausdurchsuchung: ein Überfall eines
jugoslawischen Staatsbürgers auf eine Billa-Filiale im 10. Bezirk.
Die Polizei stürmte also den 4. Stock unter dem Vorwand, einen Jugoslawen
zu suchen. Es war allerdings sehr schnell zu bemerken, daß keineswegs
nur eine Person gesucht wurde. Der Wohnbereich von KurdInnen und Kurden
wurde zielstrebig angesteuert und abgeriegelt. Und damit kein Zweifel
aufkommt: eine Wohnung im selben Stock, die von einem Österreicher
bewohnt wird, blieb unangetastet.
Wir schließen aus dieser Vorgangsweise,
daß es der Polizei hauptsächlich darum ging, das neue Fremdengesetz
exemplarisch an einem Haus zu exekutieren, das dafür bekannt ist,
Flüchtlingen und anderen ausländischen Menschen Unterkunft zu
gewähren.
Wie sieht diese Hausdurchsuchung nach
dem neuen Fremdengesetz praktisch aus:
Ca. 20 Uniformierte der Alarmabteilung (Wega) in Begleitung von etlichen
Zivilbeamten stürmen den 4. Stock des EKG und konzentrieren sich
sofort auf die linke Seite dieses Stockwerkes. Österreichische BewohnerInnen
des EKH fragen nach was sie da wollen, ob sie einen Hausdurchsuchungsbefehl
haben. Es werden widersprüchliche oder falsche Antworten gegeben:
zuerst heißt es, den Hausdurchsuchungsbefehl bekommen wir nach der
Aktion, es gehe uns nichts an warum sie da sind; dann heißt es,
einen Hausdurchsuchungsbefehl gäbe es derzeit nur telefonisch, den
Auftrag hätten sie telefonisch von einem U-Richter bekommen. Offensichtlich
weiß die Polizei sehr genau, wo sie zu suchen hat (ebenso offensichtlich
war es, daß sie den gesuchten Jugoslawen dort nicht finden werden).
Alle Zimmer im Wohnbereich der KurdInnen werden gestürmt - teilweise
mit gezogener Waffe. Verschlossene Türen werden mit einem Vorschlaghammer
zertrümmert. Alle BewohnerInnen müssen sich am Gang aufstellen,
die Hände erhoben und an der Wand, hinter ihnen ein Bulle mit gezogener
Waffe. Die - teilweise mit "Haßkappen" vermummten - Polizisten
verschließen die Zimmer von innen (mit ihren Handschellen) und verwüsten,
d.h. durchsuchen sie. Den Leuten wird ein Paß des vermeintlich gesuchten
Jugoslawen gezeigt, es wird gefragt, ob sie diesen kennen. Zwei Leute
werden geschlagen, weil sie weder die Frage verstehen noch, deswegen,
darauf antworten können.
Auf die Frage, was sie in den Zimmern überhaupt suchen immer die
gleiche Antwort: Beweismaterial. Wofür und was dieses Beweismaterial
sein soll wird nicht gesagt. Immer wieder kommt die Drohung, daß
auch der 3. und der 2. Stock durchsucht werden sollen.
Im 4. Stock wird ein Kurde, der keine Papiere hat, festgenommen und abgeführt.
Auf die Frage nach dem Grund der Verhaftung werden nur ausweichende Antworten
gegeben. Am nächsten Tag erfahren wir, daß der Kurde aus fremdenpolizeilichen
Gründen festgenommen wurde und in Schubhaft genommen wird.
Die Polizei nimmt 2 Kartons, wahrscheinlich mit Flugblättern, mit.
Es werden von Polizeifotografen viele Bilder im Haus gemacht, teilweise
wird versucht, auch Leute zu fotografieren. Es geht ihnen aber anscheinend
mehr darum, das Haus von innen kennenzulernen.
Sehr schnell wurde von den österreichischen BewohnerInnen eine Telefonkette
ausgelöst. Innerhalb relativ kurzer Zeit kommen ca. 50 Leute ins
Haus, darunter auch ein Gemeinderat der Grünen. Er wird erst reingelassen,
als er sich als Gemeinderat ausweist. Ein Bewohner, der sich als MieterInnenvertreter
deklariert, wurde zuvor nicht ins Haus gelassen.
Fazit: unter dem Vorwand, einen Jugoslawen,
der an einem Raub beteiligt gewesen sein soll, zu suchen, wurden ausländische
Menschen brutal aus ihren Wohnungen geholt und ihr Zimmer verwüstet.
Nicht einmal eine rechtliche Grundlage für diesen vorwand konnte
vorgewiesen werden. Das ganze war eine Praxisübung rassistischer
Gesetze. Ein Kurde, der keine Papiere hatte und gerade im Haus anwesend
war, wurde festgenommen und in Schubhaft gesteckt.
Die Polizei versucht offensichtlich mit dieser dritten Hausdurchsuchung
im EKH innerhalb von 5 Wochen eine argumentative Linie aufzubauen, die
im Bedarfsfall gegen dieses Haus angewandt werden kann. Zuerst war der
Vorwand "Drogen", jetzt "Krimineller".
Die Vorgangsweise der Polizei ist in Zusammenhang mit der repressiven,
rassistischen Gesetzeslage in Österreich zu sehen, die es zum Beispiel
ermöglicht, Hausdurchsuchungen in Wohnungen in denen sich mehr als
5 Menschen aus anderen Ländern aufhalten, ohne richterlichen Befehl
durchzuführen.
Wir fordern die sofortige Freilassung
des Verhafteten
Organisiert den antirassistischen Schutz
Internationalistische Vereinigung zur Verhinderung
rassistisch motivierter Polizeiübergriffe
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Flugblatt vom Mai 94
Große Freiheit Nummer Zehn
Über die Verhaltensweisen mancher Leute im EKH
Als Kommunist (für manche von
euch "Linksfaschist") könnt ich mich ja zurücklehnen
und grinsen. Der Anarchismus diskreditiert sich wieder einmal selbst.
Tu ich aber nicht, da mir das Ernst Kirchweger Haus als politisches und
kulturelles Projekt einfach zu wichtig ist. Manche von euch aber verstehen
die Tatsache, daß die BetreiberInnen des Beisls nicht immer Lust
haben Hilfsbullen zu spielen offenbar als Aufforderung mal richtig die
Sau ´raus zu lassen. Da besauft ihr euch sinnlos, fangt Wickel an,
laßt eure Köter frei herumlaufen und sich gegenseitig zerfleischen,
stürzt kommod ab, macht Dreck, daß einer Sau das Grausen kommt.
Glaubt ihr all das hat etwas mit selbstbestimmtem Leben oder mit Anarchismus
zu tun? Hat es nicht! Das Grundcredo des Anarchismus ist (sollte für
alle eigentlich klar sein):
Alles ist erlaubt solange es niemanden beeinträchtigt!
Und eben dieses "Beeinträchtigen" wird von manchen von
euch in einem unerträglichen Ausmaß praktiziert.
Kapiert ihr eigentlich, daß ...
- ...viele Leute vor euren Kötern Angst haben und es für sie
auf keinen Fall leiwand ist den Aufenthalt im Beisl als einen Spießrutenlauf
zwischen knurrenden und raufenden "Bestien" zu erleben.
- ...viele Leute den Aufenthalt im Beisl wegen der alkoholisierten "tiaf´n"
und aggressiven Atmosphäre meiden.
- ...viele Leute es satt haben über Alk-Leichen drüber zu steigen.
- ...der Bardienst hier umsonst arbeitet und nicht eure persönliche
Aufräumkollone ist, und es deshalb extrem grindig und unsolidarisch
ist ca. 10 mal mehr Müll zu machen als ihr in einem anderen Lokal
euch überhaupt trauen würdet.
- ...Machotypen, welche sich anmaßen Frauen sexuell zu belästigen,
anzumachen oder gar schlagen genau solche repressiven Schweine sind wie
Faschisten und deshalb genauso behandelt gehören. Das heißt:
Rauswurf und falls er nicht freiwillig geht, wird seine Einsicht mit entsprechenden
Mitteln beschleunigt. Typen, die sich mit ihm solidarisieren können
das gerne machen: aber draußen!
Kapiert endlich, daß das EKH keine Spielwiese
für eure privatanarchistischen Gelüste ist sondern ein Freiraum
für alle, die sich am Aufbau einer politischen, sozialen und kulturellen
Gegenbewegung zur herrschenden Scheiße beteiligen wollen!
KriegsgewinnlerInnen (damit mein ich Leute, die sich von sozialen Kämpfen
den Rahm abschöpfen wollen ohne sich an ihnen zu beteiligen) und
Konsumzombies welche sich nur billig besaufen und Wickel machen wollen,
denen es aber "wurscht ist, ob sie das bei den Linken oder bei den
Rechten machen" (Originial Zitat von ein paar Punk-Dumpfbacken) brauchen
wir hier drinnen nicht.
Nehmt diese Kritik zur Kenntnis, verhaltet euch dementsprechend oder verpisst
euch!
(einer, dem es schon lange reicht)
PS: Betrifft mitgebrachten Alk: Ich schleppt da massigst Alk herbei und
drangelt euch nieder. Und wer räumt die Flaschen, Dosen, eure Speibe
oder eure Körper weg?: erraten: die Trotteln vom EKH.
Also: wenn ihr schon vorhabt, euch in diesem Beisl eure letzten Hirnzellen
zu vernichten (wofür dieses Beisl eigentlich nicht gedacht war),
dann blecht wenigstens dafür, damit mir eurer Kohle wenigstens die
Struktur erhalten bleibt!
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Text aus der Broschüre zur Aufführung der Dreigroschenoper
von Bertl Brecht im EKH im September 94 - VolXtheater Favoiten
Werte Opernfreunde
Vielleicht kennen Sie das (Ernst Kirchweger)
Haus gar nicht, mag sein, sie kennen des als Concertsaal, als Bar, als
Haus vollen Fremder, Kurden, Zigeuner, Afrikaner, als Haus voller lärmender
Kinder und Hunde, als Ort politischer Ansprüche, der Information
und Kommunikation, oder nur als Baustelle. Wie auch immer, sie sollen
jetzt etwas Neues kennenlernen: das Haus als Oper! Als im vergangenen
Veranstaltungsjahr die Post so richtig abgegangen ist, Konzerte und Culture
und Politics, da setzte bei manchen Organisatoren und Gästen ein
folgenschwerer Denkprozeß ein: nur Organisieren und Konsumieren
ist fad, selber was auf die Beine stellen, Output, Produktion, das wäre
was! Da viele Menschen einfach nicht in der Lage sind, eine Band zu gründen,
ein Instrument zu spielen, lag es recht nahe, auf den Hund, sprich das
Theater, und für Nichtmusiker, auf das einzig dem Armen mitgegebene
Instrument, die Stimme zu kommen. Theater + Gesang = Oper?!! Das VolXtheater
Favoriten war geboren. Und fähige Schauspieler, Regisseure und Bühnentechniker
schossen wie Pilze aus dem gärenden Morast der "Szene",
fähige Musiker schlossen sich an. So Etwas wie ein "kulturpolitischer
Anspruch" wurde geboren, der da lautet: Reetablierung von Theater,
Klassik, Oper, in der Subkultur, Kultur von Unten, Gegenkultur.
Wir träumen nun nicht mehr ausschließlich
davon, Opernhäuser niederzureißen und abzubrennen, wie etwa
der junge Richard Wagner, der bei der Inbrandsteckund der Dresdner Oper
im Revolutionsjahr 1849 selbst mit Hand angelegt haben dürfte, nein,
wir teilen die Träume von Brecht und Weill, die da fordern "die
große Maschinerie Oper einer neuen gesellschaftlichen Verwendung
zuzuführen, sich diese Form radikal zu erobern, und für eigene,
neue und aufregende Zwecke zu mißbrauchen". Diese Forderung
gliedert sich inhaltlich danach, mit aktuellen Stoffen gesellschaftliche
Zwangsverhältnisse nicht zu verschleiern, sondern aufzudecken, musikalisch
darin, "gängige Schlagermelodien", also aktuelle Kulturformen,
"Popmusik", in die klassische Musik zu integrieren, jene damit
vom elitären Sockel zu stoßen, und ihr damit einen allgemeinen,
alltäglichen Gebrauchswert wiederzugeben. Damit landen wir bei Brecht,
auf den wir, auf unserer Suche nach Stoff für unsere erste große
Eigenproduktion, naturgemäß bald gestoßen sind. Die "Dreigroschenoper",
jeder kennt das Ding dem Namen nach, wer kennt nicht den "Haifisch-Song",
erschien am geistigen Horizont, und wurde als das Werk entdeckt, das am
ehesten die Brücke zwischen Hard-Core-Dub-Trash-Banger Publikum und
hoher Mimi schlagen könnte. Bei unserer Bearbeitung der schrägen
Story von Räubern und Gendarmen, Kapitalismus und Bettelei, mußten
wir uns mit dem von Brecht definierten Begriff des "Epischen Theaters"
auseinandersetzen, einer radikal anderen Definition des Begriffs Theater
an sich.
Näher auszuführen würde hier den Rahmen sprengen, was dabei
herausgekommen ist, werden sie auf der Bühne sehen. Da die letzten
paar Operballdemos in Spazierkesselversion auch nicht gerade das Gelbe
vom Ei waren, und ihr wahres Ziel, nämlich uns einen passenden Spielort
zu besorgen, verfehlten, beschlossen wir notgedrungen, eben auf unsere
eigene, obschon eigentlich viel zu kleine, Infrastruktur, eben das Haus,
zurückzugreifen. Das entstandene Ensemble kommt also ganz und gar
aus Haus und Umfeld, keine Profis nirgendwo, kein "Künstler",
keine krude Wissenschaft ist da um uns die Intuition zu rauben. Wir alle
wissen, daß es mit Chef und Hierachie, mit Zuckerbrot und Peitsche
viel leichter geht im Leben, wir alle pfeifen darauf, auf dieses Wissen.
Das ganze heißt deshalb "Gemeinschaftsproduktion", es
gibt keine getrennten Funktionen, alles, Regie, Konzept, Bühne, etc.
kommt aus vielen Bäuchen. Soetwas zu Zwanzigst durchzuziehen bedeutet
so etwas wie verdammt harte Arbeit. Die dabei entstandenen gruppenpsychologischen
Phänomene gemahnen an genau jene obskuren Geschichten, die wir von
der chaotischen Uraufführung des Stückes im Berlin des Jahres
1928 zu hören bekamen. Kann nur ein gutes Omen sein, denken wir uns
dazu. Die Musik zu dem Ding hat der wüste Weill geschrieben, ganz
unglaubliches Material,wir setzen dem noch eins drauf, indem wir dem Dreigroschenorchester
die Mackie-Messer-Band gegenüberstellen, und so in der Lage sind,
euch Geigen und E-Gitarre gleichzeitig und wechselweise um die Ohren zu
knallen. Das Theatergewerbe gründet sich von Alters her auf dem Gewerbe
der Bettler und Schnorrer, eine Produktion in dieser Größenordnung
kostet normalerweise sowas wie ein kleines Vermögen. Wir versuchten
also logischerweise öffentliche Subventionstöpfe anzuzapfen,
erarbeiteten ein straightes, realistisches Finanzkonzept, und suchten
um Förderungen in der Höhe von nahezu dreißigmillionen
Groschen (= 288.000,-- öS) an, in der Hoffnung dafür wenigstens
ein bischen Kohle zu ergattern. Wir pilgerten damit von Pontius zu Pilatus,
zu Bund und Land und Gemeinde und Bezirk, ja zur Gewerkschaft gar, wir
verwiesen darauf, daß von den fast 100 Weiner Theatern kein einziges
in Favoriten, also der einwohnermäßig viertgrößten
Stadt hierszulande, steht, und wir erhielten ... nichts als Absagen, Absagen,
Absagen. Immer mit dem Verweis "zu spät!", "die Töpfe
sind leer", "wer eine dermaßen große Produktion
angeht mus sich ein Jahr vorher (!) um das nötige Geld anstellen"
und so weiter und so fort. Milliarden und Millionen fließen in österreichische
Hochkultur, wie haben beschlossen, das Ding halt ohne eine Groschen Kohle,
ausschließlich auf Kreide zu produzieren.
Drei Groschen beträgt der Wert
einer halben indonesischen Nelkenzigarre.
Drei Groschen beträgt der Wert einer durchschnittlichen Möhre,
wenn mensch im 40-Tonnen-Maßstab kauft.
Drei Groschen beträgt der Wert einer guten jakutischen Nähnadel.
Keine drei Groschen soll der Wert unserer
Oper betragen!
Lassen sie niemanden die nächsten
Wahlen gewinnen, schon gar nicht jene, die das Wohnrecht zum Recht der
Eliten degradieren, Menschen auf der Text aus der Broschüre zur Aufführung
der Dreigroschenoper von Bertl Brecht im EKH im September 94 - VolXtheater
Favoriten
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Am 19.4.95 wurden unsere Freunde Gregor Thaler und Peter
Konicek in der Nähe eines Strommastens in Ebergassing/Niederösterreich
tot aufgefunden. Die Zeit nach dem Auffinden der beiden, nach dem mißglückten
Anschlag, war eine sehr wichtige und einschneidende in der Geschichte des
EKH.
Hier ein Text aus dem TATblatt +34 vom 26.4.95.
Der Feind steht links!
Am Mittwoch den 19. April werden im
Rundfunk die ersten Berichte über den mißglückten Anschlag
bei Ebergassing gesendet. Bis zum späten Abend heißt es, die
gefundenen Toten könnten nicht identifiziert werden. Währenddessen
werden mehrere Hausdurchsuchungen "im Umfeld" von Peter und
Gregor durchgeführt. Eine betrifft das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH)
in Wien. In den darauffolgenden Tagen hetzen JournalistInnen und PolitikerInnen.
Tageszeitungen werden offenbar Stapoakten von Peter und Gregor zugespielt.
Mit einem Durchsuchungsbefehl wurde
das EKH spätabends am 19. April umstellt. Mit dabei war die paramilitärische
Einheit der Wiener Polizei (WEGA) und diverse technische Hilfsmittel (2
Wassenwerfer, Tretgitter). Die anwesenden BewohnerInnen des Hauses und
BesucherInnen des Antifa-Cafés erfuhren erst nach und nach welchen
Vorwand die Polizei für den Aufmarsch mitbrachte. Alle Anwesenden
wurden fotografiert. Ausweise kontrolliert, einige auch durchsucht. Dasselbe
wiederfuhr auch PassantInnen vor dem EKH.
Angesichts der Übermacht begannen Verhandlungen mit der Polizei über
die Form der Durchsuchung. Die Polizei verlangte, daß die BewohnerInnen
zuerst das Haus verlassen sollten. Die Leute vom EKH boten an, die Räume
zu öffenen, wenn sie die Durchsuchung begleiten könnten. Nach
einiger Zeit wurde diese Vereinbarung erzielt. Den anwesenden Beamten
der paramilitärischen WEGA-Einheit kümmerte diese Vereinbarung
nichts. Sie begannen die Durchsuchung im ersten Stock so wie sie es gelernt
hatten. Im Bereich des Roma-Vereins (Romano Centro) und der türkischen
ATIGF wurden die Türen entweder mit Brecheisen aufgebrochen oder
schlicht mit Vorschlaghämmern eingeschlagen. Schlafende Roma wurden
aus den Betten gezerrt, einer geschlagen und die Zimmer verwüstet.
Nachdem sich die WEGA´s ausgetobt hatten wurde die weitere Durchsuchung
nach Vereinbarung durchgeführt.
Gefunden wurde nichts. Laut Durchsuchungsbefehl hätten die Beamten
nach Sprengstoff suchen sollen. Nach Abbruch der Durchsuchung beschlossen
sie dafür einen Computen in Gewahrsam zu nehmen. Den mittlerweile
anwesenden RechtsanwältInnen des EKH wurde mitgeteilt, daß
der Journalrichter eben den Durchsuchungsbefehl erweitert habe.
Warum das Ganze?
Nicht übersehen sollte werden,
daß Polizei und Justizbehörden die Trauer als Waffen einsetzen:
Wer immer beschloß, das Ernst Kirchweger Haus zu durchsuchen, war
sich bewußt, daß dort für die ErmittlerInnen im Fall
Ebergassing nichts zu finden war. Bereits vor zwei Jahren war Gregor von
einem Gericht wegen "listiger Umtriebe zur Umgehung der Wehrpflicht"
verurteilt worden, weil er im EKH eben NICHT für die Behörden
erreichbar war. Sehr großes Interesse entwickelte die Behörde
bei der Ausleuchtung des EKH-Umfelds. Ein sehr weitläufig um das
Haus gezogenes Sperrgebiet ermöglichte es, alle Leute, die in Unkenntnis
der Zusammenhänge und aus Solidarität in Angst vor einer Räumung
mitten in der Nacht nach Favoriten gefahren sind, zu kontrollieren: vielfach
auch durchzusackeln.
Die Umstände des Todes von Peter und Gregor sind nicht gekärt,
und sie werden auch wohl kaum zu klären sein. Den Behörden aber
geht es nicht um die Klärung dieses Todes. Für sie ist es nichts
anderes als eine Chance, eine kritische Öffentlichkeit zu beobachten,
einzugrenzen, eben: Infos über Linke zu sammeln.
Über Personen, Umstände und Zeitpunkte Spekulationen anzustellen
hilft nicht bei der Klärung der Todesumstände von Gregor und
Peter, sondern lediglich der Polizei bei der "Ausleuchtung"
kritischer Öffentlichkeit...
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Ein weiterer Text zum Tod von Gregor und Peter in Ebergassing
aus dem TATblatt Nr. plus 36 vom 26.5.95
Zeit der Analyse?
Zumindest ein paar Basics...
In Ebergassing, so hätten´s
manche gern, fand gar kein Anschlag statt. Vielmehr, so wird gern zwischen
einzelnen Bierschlucken kolportiert, wären Gregor und Peter
- nach Ebergassing in eine Sprengfalle gelockt worden; oder
- von Nazis erschlagen und zu den noch ungezündeten Sprengladungen
gelegt worden; oder
- einem geheimnisvollen dritten Mann auf den Leim gegangen. Dieser hätte
das ganze so inszeniert, daß die beiden zu Tode kammen.
Eine vierte Variante (wie die anderen im Beirrausch kolportiert) hab´
ich versprochen geheim zu halten, auf das sie ausrecherchiert und mit
großen Trara der Öffentlichkeit präsentiert werden; verraten
sei nur soviel: da haben ganz, ganz böse Geheimdienste ihre Finger
im Spiel!!!!
Na gut: Wäre ja theoretisch möglich,
daß sich eine der oben angeführten Verschwörungstheorien
einmal als richtig herausstellte; aber bis dahin wäre es irgendwie
angebracht, sich nichts vorzumachen: Wie´s aussieht haben da zwei
Leute aus der Linken einen Strommasten in die Luft sprengen wollen. Sie
taten das aus politischen Gründen: und sie waren bemüht, daß
ihre Aktion keine Menschen verletzen würde. Punktum
Diese Feststellung, so trivial sie auch erscheinen möge, ist Voraussetzung
jeglicher Diskussion über Widerstand, Gewalt, die Politik der Grünen
etc.. Träfe nämlich eine der eingangs skizzierten Verschwörungstheorien
zu, wären sie zu diskutieren, und wir bräuchten nicht über
Widerstand, Gewalt ... (und so) zu sprechen. O.k.?
Ein paar Basics
Am Beginn der Diskussion über
den Anschlag von Ebergassing und die Folgen gilt´s aber auch, noch
ein paar Sachen festzuhalten:
- F-Mitglieder brauchen nicht mehr in den Keller (remember "Kellernazis"?)
zu gehen, um sich positiv auf der "3. Reich" ("ordentliche
Beschäftigungspolitik") zu beziehen und autoritäre Gesellschaftsmodelle
("3. Republik") zu propagieren. Sie können das vielmehr
mit offener Unterstützung eines nicht gerade kleinen Teils der WählerInnen
tun. Und sie können damit rechnen, daß diese Offensive rechtsextremer
Positionen von Medien und Politik mehr oder minder akzeptiert wird (LH
Krainer: "F innerhalb des Verfassungsbogens").
- Die F versucht ganz generell, das politische System zu destabilisieren.
Sie nützt jede sich ihr bietende Gelegenheit, um die politische und
gesellschaftliche Situation in Österreich als labil, die leading
figures als ineffektiv und zu soft darzustellen. Sie würde daher
jede und jeden MinisterIn politisch zu vernichten suchen, wenn sie darin
auch nur die geringste Chance auf Erfolg sähe.
- Die ÖVP hingegen sucht gerade ein neues Profil, um sich im Bild
der Öffentlichkeit sowohl von der SPÖ als auch von der F abzusetzen.
In der Praxis jedoch verkommt das zum Richtungsstreit zwischen jenen,
die ihr Heil in der Fortführung des korporatistischen Modells sehen
und jenen, die sich lieber an das polarisierende Modell der FPÖ anlehnen
wollen. Der Anschlag von Ebergassing bot kurzfristig die Gelegenheit,
diesen Bruch zu überspielen, da sich keine ÖVP-Position im Schußfeld
befand (im Gegensatz zur SP und den Grünen). Das Fehlen des gemeinsamen
Bunkerreflexes hat allerdings zu Tage treten lassen, daß am "rechten
Rand" der ÖVP ein Streit um die zukünftige Person des österreichischen
von Papen tobt (Von Papen war jener Politiker, der Hitler die legale Machtergreifung
ermöglichte in der Hoffnung,daß es selbst, sobald die NSDAP
der Linken den Garaus gemacht hatte, die Kanzlerschaft übernehmen
würde. Von Papen wurde nach Festigung der NS-Herrschaft auf den Posten
des deutschen Botschafters in der Türkei abgeschoben ...).
- Aus den geschildersten Gründen ergibt sich, daß Zeitpunkt
und Art des Anschlages von Ebergassing geradezu genial gewählt waren
- leider jedoch ausschließlich aus dem Blickwinkel der ÖVP
bzw. der F.
- Die SPÖ hat, so sie überhaupt wollte, der Rechtsorientierung
ohnehin nichts entgegenzusetzen. Sie verfolgt seit Gründung der zweiten
Republik eine paternalistische Politik, die über die Bürokratisierung
sozialer und politischer Bedürfnisse das Leben der Menschen kontrollieren
möchte. Es war ausdrückliches Ziel dieser Politik, das Entstehen
unabhängiger Strukturen außerhalb der offiziellen TeilnehmerInnen
am Korporatismus (also Großparteien, Kammern etc.) zu verhindern.
Auch die SP hat sich dem Rechtstrend nicht verschließen können.
In vielen Punkten (z.B. bei der Durchsetzung rassistischer Gesetzesverschärfungen)
ist die SPÖ sogar federführend.
- Die Grünen sind ein Kind dieser SP-Politik. In ihrer Entwicklung
zur Partei haben sie gerade die unabhängigen Strukturen in sich aufgesogen
und damit reinstitutionalisiert. Nicht zuletzt deshalb glauben sie heute,
vor den Toren der Machtbeteiligung zu stehen. Den Schritt durch diese
Tore wollen sie sich nicht nehmen lassen. Unabhängige Strukturen
sind da eher hinderlich, denn sie halten sich nicht an die parteiintern
vorgegebenen Ziele. Die Abgrenzung von diesen Strukturen ist daher der
Preis, den die Grünen für den Eintritt in die Vorhölle
der Macht zahlen müssen; und wollen.
- Das offensive Auftreten der FPÖ und das Hinterherlaufen der Regierungsparteien
schufen in den Medien, der politischen Debatte und folglich auch "in
der Gesellschaft" eine Akzeptanz für autoritäre "Krisenlösungsmodelle"
(bzw. war diese Akzeptanz nie verschwunden; sie mußte nur durch
entsprechend offensives Auftreten reaktiviert werden).
- Mit dem EU-Betritt und den damit verbundenen wirtschaftlichen Vorgaben/Zielen
(z.B. EWS-Kriterien) war auch die Krise gefunden, die Voraussetzung zur
Durchsetzung eines Krisenlösungsmodells ist. Die für notwendig
erklärte "Budgetsanierung" kann dort am leichtesten durchgesetzt
werden, wo die Betroffenen ohnedies nicht der gängigen Vorstellung
vom austrian way of living widersprechen: Arbeitslose, alleinstehende
Mütter, behinderte Menschen, "AusländerInnen", Lesben,
...;
- Mit dem formalen Beitritt zur EU wurde der ökonomische und politische
Zwang verstärkt, infrastrukturelle Bedingungen zu schaffen, die bisher
von der lokalen Bevölkerung verhindert werden konnten. Dazu zählt
die 380 kV-Leitung, die als einziges Projekt explizit im Regierungsübereinkommen
angeführt ist. Die Liste dieser Infrastruktur-Projekte ist mit Straßenausbau
(Pyhrn, Wiener Südumfahrung, Transitvertrag ...), Bagatellverordnung,
Berggesetz und Abfallwirtschaftsgesetz noch lange nicht vollständig.
- Korrespondierend dazu: Die Möglichkeiten legalen Widerstandes gegen
den ganzen Mist werden eingeschränkt. Dabei wird Widerstand nicht
nur zunehmend kriminalisiert (z.B. durch die Prozesse um den "Aufruf"
zur Mißachtung der Militärgesetze), sondern auch rein formalistische
Widerstandakte verunmöglicht (z.B. durch Einreichung neuer Projektunterlagen
für die geplante Sondermüllverbrennungsanlage in Ranshofen,
mit der die Arbeit der BürgerInneninitiative von mehr als einem Jahr
und 50.000 juristische Einwendungen obsolet gemacht wurden).
- Damit aber werden auch Bedürfnisse nach Ausbau der Menschenrechte,
der Verfahrensrechte in Umwelt- und Sozialfragen bzw. nach Verbesserung
der Position bisher ausgegrenzter Gruppen geweckt und verstärkt (ganz
offensichtlich z.B. bei Frauen zu bemerken).
- In diesem Mischmasch entsteht ein diffuses Gefühl von "etwas
machen wollen" aber "nichts tun können".
Diese basics geben - mögliche
- Antworten auf so ziemlich alle Fragen, die im Zusammenhang mit Ebergassing
auftreten: Es war eine politische Aktion, und sie ist nicht einfach vom
Himmel gafallen, sondern durchaus ein Ausdruck der zur Zeit hier herrschenden
politischen und gesellschaftlichen Realität!
Akzeptieren wir das, bleibt nicht mehr viel übrig von der Behauptung,
daß der Anschlag von Ebergassing "Ursache" von irgendetwas
(der F-Politik, der geplanten Verschärfungen von ...) wäre:
Der Anschlag von Ebergassing an sich hat NICHTS "ausgelöst".
Alle handelnden Gruppen zielen auch nach Ebergassing nur auf Durchsetzung
von Positionen ab, die sie auch vorher schon hatten.
Aber, aber, aber ...
Trotzdem rettet uns das nicht vor der
Auseinandersetzung mit den - zumindest rein zeitlich betrachtet als solche
auftretenden - Folgen des Anschlages. Nur ein paar herausgegriffen:
- Die Schaffung eines Konstrukts, wonach der Staat durch Terror bedroht
sei. Dieses Konstrukt, das ja wohl offenkundig falsch ist, dient der Rechtfertigung
weiterer Eingriffe in bestehende Grund- und Freiheitsrechte (Lauschangriff,
...).
- Gleichsetzung der Aktionen fortschrittlicher Personen und Gruppen mit
den Morden und Mordanschlägen der Nazis.
- Neue - ungeschriebene - Regeln für "Staatskonformität"
z.B. durch Einführung des Begriffs "Verfassungsbogen".
Analog zur Bedeutung im Italienischen wird damit vorauseilender Gehorsam
staatlichen Institutionen gegenüber zur Voraussetzung einer Teilnahme
am legalen, politischen Diskurs.
- Prompter Stopp fortschrittlicher Projekte durch Entzug von Unterstützung,
Geldern bzw. durch "Überprüfung der Förderungswürdigkeit".
- Drohung mit Kriminalisierung der Diskussion (z.B. betreffend 380 kV-Leitung,
Abfangjäger, Antifa; aber auch Asylrecht usw.)
- Schaffung eines Konstrukts "anschlagsrelevante Themen" (z.B.
Mochovce).
Defizitabbau?
Die letzten Wochen haben aber auch
wieder einmal die Defizite der Linken zum Vorschein gebracht: Wieder einmal
wurde deutlich ...
- daß die Orientierung auf Widerstand als theoretische Inszenierung
ohne Ausrichtung auf praktische Verhinderung eines Projekts bzw. Durchsetzung
einer Position (z.B. im Zusammenhang mit den rassistischen Gesetzen) nicht
nur die Motivation jener zerstört, die etwas verändern wollen,
sondern auch noch die Basis von Einzelaktionen a la Ebergassing ist. Das
ist keine Schuldzuweisung an Peter und Gregor, denn ihr Bedürfnis,
Widerstand nicht bloß zu inszenieren, ist mehr als verständlich.
- Daß die - mit Distanz betrachtet ohnehin lächerlich wirkende
- selbstgegebene Aura von Avantgarde kontraproduktiv ist und nebstbei
ohnehin keinerlei reale Grundlage hat (was nicht durch den Anschlag selbst,
sondern durch die Reaktionen der verschiedenen linken Gruppen dokumentiert
ist).
- Daß hierarchische und patriarchale Strukturen in und unter linken
Gruppen der Entwicklung eines ernstzunehmenden Widerstandes gegen die
"3. Republik" im Weg stehen.
- Daß Strukturen, die auf - z.B. mediale - Inszenierung eines politischen
Bildes von Radikalität und Widerstand aus sind, im besonderen Maße
bei ihren Angehörigen Panik verbreiten, weil keine Auseinandersetzung
über reale Gefahren und adäquate Umgangsweisen stattfindet (es
findet nur die Inszenierung statt, die Klischees als Verhaltensnormen
transportiert anstatt anwendbarer Erfahrungen).
Wenn weiter ober geschrieben wurde, daß keine der - zumindest medial
- in Erscheinung tretenden Gruppen in den letzten Wochen ihre Politik
wesentlich verändert hat, kann daraus gefolgert werden, daß
es eher müßig ist, sich unter extensivem Gebrauch des Wortes
"Verrat" etc. dem Selbstmitleid hinzugeben.
Beibt die Frage offen, wie Menschen und Gruppen mit linkem Selbstverständnis
mit der post-Ebergassing-Situation umgehen können.
Mögliche Antworten:
- Die Tatsache, daß die Debatte
um Kürzungen im Bereich des Ams bzw. der Publizistikförderung
augenblicklich das TATblatt in den Mittelpunkt stellt, wird nicht lange
ein Problem sein, wenn es uns gelingt, die "Breitenwirkung"
der Kürzungen in Zusammenhang mit den allgemeinen Budgeteinsparungen
zu stellen. Ob im TATblatt (oder besser im TATblatt -TrägerInnenverein)
Leute arbeiten, die aus Mitteln der Aktion 8000 unterstützt werden,
ist letzlich ziemlich wurscht: daß aber gleichzeitig - sozusagen
in einer ersten Tranche - weitere 200 Arbeitsplätze von Förderungen
der Aktion 8000 ausgeschlossen werden sollen, zeigt eine Entwicklungsrichtung
der Sozialpolitik an. Hier gibt es Möglichkeiten "themenübergreifende"
Allianzen mit sehr vielen anderen Initiativen zu schließen ...
- Wichtig ist aber auch der Abbau der stelbstgeschaffenen Grenzen zu "BürgerInnen"-Initiativen.
Leute, die z.B. einen Straßenbau o.ä. verhindern wollen, warten
nicht auf Belehrungen. Es ist an unseren Fähigkeiten, zu hören
und zu lernen, gelegen, wenn wir "themenübergreifende"
Zusammenarbeit erreichen wollen.
- Weg mit patriarchalen Strukturen in unseren Zusammenhängen! Sie
sind nicht nur aus scheinbar "objektiven" Gründen als "schlecht"
und "böse" erkannt worden, sondern behindern uns in Form
von "Heldentum", Kommandostrukturen oder Hierarchien ganz praktisch
bei der Entwicklung des Widerstandes. Jede Stimme, die sich innerhalb
einer Gruppe nicht Gehör verschaffen kann, ist ein Minus an Auseinandersetzung,
an Hinterfragung von Grundlagen, Annahmen und Ergebnissen einer Arbeit,
und vor allem ein Minus an Konstruktivität und Phantasie bei der
Entwicklung und Umsetzung von Widerstandsformen. Wir können davon
ausgehen, daß patriarchale Strukturen mindestens 80 % des kreativen
Potentials einer Gruppe gar nicht erst aufkommen lassen.
- "Widerstand gegen Terror"! Diese "Formel" könnte
im doppelten Wortsinn eine politische Richtung der Linken angeben. Denn
Einerseits bezeichnet sie eine Politik, die den Unterschied zwischen den
Aktionen der Linken und der Morden und Mordversuchen der Nazis herausstreicht;
zum anderen könnte sie eine Orientierung im Alltag linker Gruppen
sein: rassistische, faschistische und sexistische Strukturen TATSÄCHLICH
und PRAKTISCH durch Aktionen zu benennen und aus der Anonymität zu
holen, gleichzeitig damit ihren Spielraum bei der Organisierung des rechten
Untergrunds einzuschränken (der seinen Spielraum immerhin zur Vorbereitung
von Morden nutzt).
Politisches Handeln könnte (sollte,
ja geradezu: müßte) vermitteln, daß
- effektive Aktionen des Widerstands relativ leicht durchführbar
sind
- sie jeweils eine Aktion unter einer steigenden Zahl ähnlicher Aktionen
sind
- es nicht verdeckt in klandestinen Strukturen arbeitende Helden sind,
die die effektivsten Aktionen durchführen
- der Anschlag von Ebergassing, der Tod Gregors und Peters, die darauf
folgende Medieninszenierung usw. das Vorhandensein/die Entwicklung von
Widerstand und effektiven Widerstandstrukturen nicht verhindert ..
So gesehen ist es geradezu notwendig,
daß möglichst viele fortschrittliche Gruppen in Reaktion auf
Ebergassing usw.
1. hierarchische, patriarchale und paternatlistische (im Effekt: Kommando-)
Strukturen auflösen , und
2. verstärkt leicht durchführbare, gut vermittelbare und zur
Wiederholung anregende "low-leveled-actions" (unabhängig
davon, ob sie legal sind oder nicht) zur Vermittlung fortschrittlicher
Inhalte durchführen.
Es ist sinnlos, den Unterschied zwischen
rechts und links einfach nur erklären zu wollen. Der Unterschied
ist entweder sichtbar, oder er existiert nicht!
Ein weiterer Text zum Tod von Gregor und Peter in Ebergassing
aus dem TATblatt Nr. plus 36 vom 26.5.95
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rapidite sondernummer zu 10 jahre
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Aus der Rapidité März
1996
Werte OpernfreundInnen und verehrteste Theaterfreaks
: AN DIE GURGEL!
Ein paar Kleinigkeiten übers VolXtheater,
noch kein Manifest, bloß eine kleine Provokation...
Schon mal was gehört vom VolXtheater
Favoriten, vom VolXtheater überhaupt, dem radikalsten Theaterkonzept
seit Erfindung der Sprache, ja des menschlichen Urlautes? Nein? Selber
schuld, Sie Socken, Sie!
Gnädig und gelassen wie ein VolXtheater halt so ist, wird hier und
jetzt und überhaupt mal einiges erklärt.
Zuerst einmal einige Gemeinheiten, nur so, zum Warmwerden...
Was hat denn "Theater" heute in unserer Gesellschaft für
einen Stellenwert, welche Funktion erfüllt es, wozu wird es gebraucht,
mißbraucht?
Elitäres, hochsubventioniertes, zu Tode kommerzialisiertes Spektakel,
vom Bildungsbürgertum fürs Bildungsbürgertum, Verharmlosung,
Verschleierung und hemmungslose Ästhetizierung der Realität,
Kunst- "Genuß" als Deckmantel für den Verlust der
allen Menschen eigenen Kreativität im alles korrumpierenden Kapitalismus.
Mensch kann sich abends, nachdem mensch den ganzen Tag prächtig und
brav funktioniert hat, ein wenig "kulturellen Werten", der "anregenden
Unterhaltung", der "ernsthaften Auseinandersetzung" (aber
bitte nicht zuviel davon) hingeben.
"Die Weisheit mit dem Löffel gefressen" habende Regisseure
bringen gemeinsam mit eitlen, sich maßlos selbstüberschätzenden
Mimen die Werke toter Dichter und solcher die es werden wollen auf die
Bühne, versetzen das zur Passivität verdammte Publikum in Scheinrealitäten
und Kunsträume, und entführen es für ein paar Stunden aus
ihrer tristen, faden Lebensrealität. Die armen Schweine (das Publikum)
glauben dann tatsächlich, dem dummen Proleten, der sich´s zu
Hause vor dem Fernseher gemütlich macht, eine ganze Nasenlänge
voraus zu sein!
Das ganze eingebettet in klare Spielregeln - die vor der Bühne: in
Abendkleidung, heute auch schon mal in einer sauberen Jean, vorher oder
nachher essen gehen und so - die auf und "hinter" der Bühne:
schön hierarchisch und arbeitsteilig, jedem seine Schublade samt
Etikett und Zuständigkeit, als ob nicht jeder Mensch zu allem fähig
wäre...
So ist Theater!!!
Scheiß doch der feuchte Hund drauf!
"VolXtheater", das ist sowas
wie ein Gegenentwurf, Nicht-Theater, Kein-Theater, Nur-zum-Schein-Theater.
Theater als Schule der RevolutionärInnen!:
Menschen, die gemeinsam diese unsere Welt ergreifen, begreifen, angreifen,
gemeinsam anzweifeln, verzweifeln, zerrinnen und gewinnen wollen.
Auf einander zugehen, um trotz aller Verschiedenheiten zwischen den Zweibeinern
den Dingen auf den Grund zu gehen, voneinander zu lernen, und gemeinsam
ein Stück weiter zu kommen.
Theater als Schule der Revolution!:
Diese Ergüsse und Erkenntnisse sodann skrupellos auf die Bühne
oder in den Raum zu stellen, dem werten Publikum etwas mitzuteilen, etwas
hinüberkommen zu lassen, was um die Ohren zu fetzen, um der Gefahr
willen, ein paar Watschen zu kassieren, gelobt, verlacht, geliebt, verachtet,
verstanden oder mißverstanden zu werden.
Dabei aber nie aus dem Auge zu verlieren: keine krampfhaft-ernsthafte
Auseinandersetzung zu verlangen, sondern über den Respekt und das
Wissen auf das Recht auf Genuß die Köpfe und die Herzen der
Menschen zu öffnen, um das Denken zur Lust zu erheben, die Kreatur
aus der Erkenntnis zum Handeln zu bringen.
VolXtheater als anarchisches, kollektives,
nicht-hierarchisches Konzept, ob im Saal oder auf der Straße, Theater
von Unten, aus dem Kopf, dem Bauch, dem Arsch, der Faust, aus jeder kleinen
Zehe und aus voller Brust!
Nach Möglichkeit immer knapp unter der Gürtellinie, bar jeglicher
Moral und dennoch voller Wut.
Skrupellos alles benützen und verwenden was brauchbar scheint, suchen,
klauen, finden, mißbrauchen, voller Ehrfurcht und Blasphemie, voller
List und Lust.
Politische vor menschlicher, menschliche vor politischer, und alles zusammen
weit vor "künstlerischer" Qualität!
Keine Dominanz von Bildung und Intellekt, keine von Plattheit und Populismus.
Lieber Schmierenkomödie und Philosophie! Denn nichts sei uns zu hoch
oder zu tief! Keine Szene auf die Bühne, die nicht behirnt, zerredet,
hinuntergeschluckt und wieder ausgespuckt wurde!
Theater, das nicht jeder Idiot genießen kann, IST KEIN THEATER.
Brandstiftung gegen die Passivität, Adrenalin für unsere weichen
fetten Ärsche!
Dem Theater und seinem Publikum: Hinein mit der Schnauze, mitten ins wahre
Leben!
Zur Hölle mit denen, die vor lauter Rausch den Krieg verschlafen,
und zur Hölle mit denen, die vor lauter Krieg verschlafen den Rausch!!!
Kunst als Waffe, Theater fürs Leben!
So soll VolXtheater sein!
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rapidite sondernummer zu 10 jahre
ekh (juni2000)
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Aus dem
Programmheft zu "Penthesilea" - aufgeführt vom VXTH Favoriten
im März 1996
VolXtheater. Leute, die Theater machen
wollen. Ein Stück über wilde Frauen. Penthesilea finden. Stotternd
und staunend die ungewohnte Sprache daherstammeln. Sätze bleiben
hängen. Tauchen drei Tage später in einem Gespräch wieder
auf. Liebesworte. "Duft deiner süßen Lippen". Kampfesworte.
"Und alles schüttelt was ihm unerträglich der Mensch von
seinen Schultern sträubend ab". Hundegejaul.
Bald stellt sich heraus, daß
die Penthesilea so nicht spielbar ist, nicht für uns. Denn es ist
immer noch so, daß drei Stunden Schönsprechtheater ganz ohne
Sound ein Genuß ist, der nur auf den höheren Schulen eingeübt
wird. Von künftigen Ärzten und Bankiers. Dem Heimkind, der Friseuse
fehlt meist die Zeit, die Geduld und von allem die Initiation in die mögliche
Schönheit eines appollinischen Theaters. Für sie hat die Kulturindustrie
die dionysischen Varianten des Theatralischen zum berauschenden Spektakel
hergemästet. Rockevent. Tekknoparties. Brot und Spiele. Das Paradox
für die rebellischen Theaterleut: stellen sie eine Propaganda für
den Widerstand auf die Bühne, gerät die ob des üblichen
Theaterpublikums sofort zum ästhetisierten Genuß für die
Leserschaft liberaler Tageszeitungen. Der Bürger läßt
sich gern einmal eine Revolüzzerin auf der Bühne vorführen.
Wir aber wollen Theater, Oper als Ort,
wo die kämpfenden Proletarierinnen über ihre strategischen Entwürfe
debattieren, wo die wilden Weiberhorden von heute (die wenigsten sind
Zahnärtzinnen und Burgtheaterstammgast) sich selbst genießen
dürfen in der Darstellung.
Unsere Bearbeitung versucht also das
Rebellische. Aufsässige. Feministische. Trotzige. Poetische. Wütende
und Widerständige an Kleists Amazonendrama zu benützen für
die Ästhetik des Frauenwiderstandes. Da mußte als erstes die
Königin und Hauptheldin abgeschaft werden. Aus Priesterinnen und
Fürstinnen wurden Genossinnen. Die Monologe der Heldin verteilten
sich an mehrere
Das Amazonenheer trifft auf die Nachahnen der Griechen: die Krieger und
Politikerkasten der imperialistischen Metropolen. Technokraten. Europolizisten.
Geheimdienstexperten des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sehr schnell war
klar, daß diese nicht kleistisch sprechen, daß ihre Widerwärtigkeit
als Aufrechterhalter dieser mörderisch ungerechten Weltordnung weder
die Ästhetisierung einer poetischen Sprache noch die plump realistische
Darstellung ihrer technokratischen Blödigkeit und Skrupellosigkeit
verträgt. Die Szene im Innenministerium wurde ca. 14 mal neu geschrieben.
Kämpfen. Nichts leichter als das.
Jedes Frauengedächtnis vermerkt Wunden zur Genüge, die die Gesellschaft
als Struktur oder als Mann geschlagen hat. Eine kleine autonome Schreikur,
Tanzkur holt Erinnerungen an längst verdrängte Gemeinheiten
aus den Verkrampfungen und Haltungsschäden hervor. Unsre Körper
und Stimmen, Nacken und Bäuche sind gezeichnet von der - glücklicherweise
mißratenen - Erziehung zum braven, hübschen, gefälligen
kleinen Mädchen. Ein paar Lockerungsübungen und unsre Fäuste
schlagen ganz von selber zu.
Kämpfen. Schnelle Schuhe. Hosen oder Röcke, die keinen KungFuTritt
behindern. Klettern, rennen. Kampfesschreie: Nie wieder!
Nie wieder sich selbst zubereitet als Leckerspeise dem Auge Munde Schwanze
eines Mannes.
Erst fressen dann gefressen werden!
Nie wieder geduldet, erlitten, sich vielleicht gar noch geschämt
für den sexuellen Übergriff eines Mannes. Nie wieder das Geschlecht
einem Gynäkologen entgegengereckt!
Wir lassen uns in den Spitälern nur noch von Frauen behandeln!
Nieder mit der Dominanz der männlichen Wissenschaft über den
weiblichen Leib!
Nie wieder von einem präpotenten Weißkittel hören: "Nehmen
Sie Hormone, Gnä Frau, da bleibt die Brust straff", ohne daß
der Typ ein Frauenknie im Unterleib hätte.
Für jedes unterwürfige "Danke Herr Doktor" in den
Frauenarztserien verdienen die Drehbuchautoren, Regisseure und SchauspielerInnen
sieben Stockhiebe in die Karrieristenfressen. Wahrscheinlich wären
wir gnädig, begnügten uns damit, die Herren Klos putzen zu lasse.
Leider stellt sich die Frage so noch nicht.
Kämpfen als Frauen. Gar nicht
so einfach. Zum ersten. Wer ist eine Frau?
Schießen wir uns nicht ein entscheidendes Eigentor, wenn wir zur
Bekämpfung des Patriarchats uns erst einmal als Frauen definieren,
identifizieren, also festschreiben?
Unserer Theatergruppe stellte sich diese Frage ganz vehement, in der Gestalt
eines Schauspielers, der eine Amazone spielen wollte. Er gab sich redlich
Mühe. Doch 20 Jahre Männerleben verschwinden nicht in vier Wochen
Proben aus den Gelenken. Manche Frauen fühlten sich auf während
der Frauenproben durch die Anwesenheit des Mannes gestört.
Manches sagt sich nicht so leicht vor
Männerohren und seien es auch nur zwei und die eines Mannes, der
im patriarchalen Sinne des Wortes keiner mehr sein will. Andererseits
stellt sich dann natürlich die Frage: Und wenn er sich umoperieren
ließe? Dürfte er/sie dann Teil der Frauengruppe werden? Heikle
Frage. Wir sind doch keine Biologistinnen, die nach Chromosomen urteilen.
In der Theatergruppe wiederholten sich also Prozesse, die auch für
die Geschichte der europäischen Frauenbewegung charakteristisch sind:
Der Ausschluß der Männer. Die anschließende Frage nach
der weiblichen Identität.
Die Ablehnung von Identitäten,
insbesondere sogenannten weiblichen. Die Vorstellung einer Welt mit beliebig
vielen Geschlechtervariationen. Die Frage, was denn, wenns die Biologie
nicht ist, uns zu Weibern macht. Die Irrwege und Verdummungen.
Heftige Diskussionen. Zeigen wir Amazonen
wie sie sein sollten? Solche, die den gemeinsamen Kampf über ihre
Egotrips stellen. Solche, die einander ruhig zuhören, sich ausreden
lassen, immer Rücksicht nehmen auf die Schwächste in ihren Reihen.
Oder dürfen die Kleistschen Konflikte, die Liebe zu einem Mann, der
Wahnsinn, der Größenwahn, die fanatische Kriegsleidenschaft
unsre Amazonen durcheinanderbringen?
Heftige Diskussionen. Müssen nicht
die mutigen Widerstandskämpferinnen in den männerdominierten
Befreiungsbewegungen doppelt kämpfen? Gegen die Armeen. Und gegen
die patriarchalen Strukturen in der eigenen Organisation. Wurde ihnen
nicht oft genug der Kampf gegen organisationsinterne patriarchale Strukturen
untersagt mit Hinweis auf die nötige Einheit gegen den Klassenfeind?
Der Geschlechterkrieg ein Nebenwiderspruch? Warum zum Teufel gibts so
verdammt wenige Amazonenheere auf der Welt?
Männer. Wesen, die allein in diesem
Jahrhundert in Europa über xxxx Menschen umgebracht haben. Aus Spaß.
Aus Gehorsam. Aus Kapitalinteresse. Aus Ressentiment und Überheblichkeit.
Um dem Soldatenweibe zu gefallen. Um die Frauen der "Feinde"
zu vergewaltigen. Weils die anderen Männer auch machen.
Xxx Menschen, die von Frauen geboren
wurden sind Männer. Diese gleichen Männer (ihre Söhne)
nun machen sich selber als Menschen-Machen. In den Laboratorien der KZ´s
geschult (ja das war ein Material! Eierstöcke en masse!) und noch
immer auf der Suche nach den Renitenz- und Zigeuner- und Lesbengenen schnipseln
die Genetiker in der Software des Lebens herum.
Frankenstein war ein Stoffteddybär gegen das, was daraus erwachsen
wird. (Das AIDSvirus z.B. könnte so ein erster Sieg der männlichen
Wissenschaft über die Mutter Natur gewesen sein...)
Kämpfende Frauen in den letzten
Jahren des 20. Jahrhunderts können sich unmöglich darauf beschränken,
den Geliebten sich im blutigen Feld der Schlacht zu suchen. Die Umkehrung
eines traditionellen Gewaltverhältnisses beim Liebeswerben macht
zwar Spaß, ist aber zuwenig in einer Zeit wo die aufgeklärten
Nachfahren Achills und Odyss gerade dabei sind im Kaukasus, dem fruchtumblühmten
und auch sonst auf der Welt die letzten Reste nicht durchkapitalisierter
Gesellschaften sich gnadenlos zu unterwerfen, und dabei Millionen Verhungerte,
Unterernährte, Zwangssterilisierte, an heilbaren Krankheiten Gestorbene,
ökologische Katastrophen ungeahnten Ausmaßes einkalkulieren.
Kämpferische Frauen - wunderbar. Doch welche, die nicht als Propagandistinnen
für "Frauen ins Bundesheer" mißverstanden werden
können, welche, die als Genossinnen der kämpfenden Frauen in
den ausgeplünderten Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas
kämpfen. Als nomadische Kriegsmaschinen gegen die Institutionen des
Staates. Als Alltagskriegerinnen, wie sie sich in den Armutsvierteln der
südlichen Großstädte zur Organisierung des täglichen
Überlebens und zum politischen Kampf zusammentun.
Heftige Diskussionen.
Improvisationen übers Zusammentreffen der kleistisch daherschwärmenden
Amazonen mit der Reality 1996. Das wenigste davon wird Teil des Stückes.
Wir machen aus bißerl Kleist plus Frauenkämpfe eine etwas oberflächliche
Operette mit fetzigem Sound. Wir spielen Hunde, Löwen, Elefanten.
Wir erfinden einen guten Achill.
Wir streiten uns nächtelang über
die Szenen im Gefängnis. Dürfen wir eine Amazone zeigen, die
sich auf eine Diskussion mitm Schließer einläßt? Die
Figur ist nicht so sehr der Schließer, als vielmehr Inbegriff des
Patriarchats, das Gefängnisse baut. Überall Mauern, Zäune,
Barrieren errichtet, daß die Leute ganz wahnsinnig werden und dann
muß man sie einsperren.
Das ist doch Theater nicht die Wirklichkeit.
Wir spielen doch nur. Spielen wir doch mal, die Welt wäre anders
als sie ist. Spielen wir, frau könnte mitm Geheimpolitisten, Schließern,
Technokraten reden. Aber da vermitteln wir ja eine ganz falsche Vorstellung
von der Welt.
Unsere Ebene entfernen sich meilenweit voneinander. So wird das Stück
sehr weit. Weiter als von meinen surrealistischen Phantasien bis zu deinem
aufklärerisch-propagandistischen "Kämpft Frauen, kämpft!
Und zwar so:...!"-Anspruch.
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