rapidite sondernummer zu 10 jahre ekh (juni2000)

1. Besetzungsflugblatt (Juni 1990)
2. Instandbenützungsflugblatt (Juni 1990)
3. Ernst-Kirchweger-Haus BenützerInnen Info (1992)
4. Zur Praxis des neuen Fremdengesetzes (Jänner 1993)
5. Große Freiheit Nr. Zehn (Mai 1994)
6. VolXtheater Favoriten: Werte Opernfreunde
(3groschenoper September 1994)

7. Ebergassing - Der Feind steht links (April 1995)
8. Ebergassing - Zeit der Analyse (Mai 1995)
9. VolXtheater Favoriten: An die Gurgel (März 1996)
10. VolXtheater Favoriten: Penthesilea -
Einleitungstext (März 1996)


 

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Das Flugi zur Besetzung des EKH

Wir haben ein Haus besetzt

Am 23.6.90 haben wir, eine Gruppe ausländischer und österreichischer AktivistInnenen Wielandgasse 2-4 besetzt. Das Gebäude wurde in den zwanziger Jahren von tschechoslowakischen ArbeiterInnen als Schule erbaut. Seit 1945 ist das Objekt in Besitz der KPÖ. Seit Jahren ist ein Großteil des Räume unbenützt.

EIN ANTIFASCHISTISCHES ZENTRUM DURCHSETZEN

Warum haben wir gerade ein Haus der KPÖ besetzt?

- Das Haus wurde von ArbeiterInnen für ihre politischen und sozialen Ziele erbaut. Damit ist es ein Teil der proletarischen, revolutionären Bewegung. Keine Partei oder Gruppe hat den Alleinvertretungsanspruch für Weltrevolution und proletarisches Eigentum. Wenn ein solches Objekt, in den Händen einer bestimmten Gruppe, von dieser nicht oder nur teilweise benützt wird, so ist es das Recht anderer Gruppen und Initiativen, die unbenützte Infrastruktur für sich in Anspruch zu nehmen.

- Die KPÖ spricht von Erneuerung und linkem Bündnis; wenn diese Worte ernst gemeint sein sollen, müssen auch Taten folgen. Nämlich die massenhaft brachliegende Infrastruktur zugänglich zu machen! Es geht uns aber nicht darum, der KPÖ Unehrlichkeit und ähnliches vorzuwerfen, sondern wir wollen konkret wissen, wie sie ihre Parolen umzusetzen gedenken.

Was wollen wir mit diesem Haus?

- Ein internationalistisches, antifaschistisches Zentrum: das heißt für uns konkret, zusammen wohnen und politisch arbeiten. Wir wollen nicht auf den St.-Nimmerleins-Tag verschoben wissen, wir wollen unser Leben hier und jetzt in allen seinen Facetten genießen können. Dafür brauchen wir ein Terrain, in dem wir experimentieren können, versuchen, neue Formen des Zusammenlebens zu entwickeln. Die ganze Scheiße und Kacke, mit der unser Leben von den Herrschenden besetzt wird, mal versuchsweise abschütteln, um weitere Perspektiven für eine andere Gesellschaft entwickeln zu können.

- Wir wissen natürlich auch, daß wir uns von so einem Zentrum nicht das Gelbe vom Ei erwarten können, wir werden viel zu arbeiten und zu kämpfen haben, bis wir einen Teil unserer Träume in die Realität umsetzen können. Dafür brauchen wir eben dieses Haus als Zentrum. Wir verlangen von allen Linken, diese Positionen so weit zu akzeptieren, und uns keine Hindernisse in den Weg zu legen.

- So fordern wir von der KPÖ in der Perspektive einer anderen, menschlicheren Gesellschaft, dieses unbenützte Haus uns zu überlassen.

Warum Ernst-Kirchweger-Haus?

Ernst Kirchweger wurde vor 25 Jahren bei einer Demonstration von Nazis erschlagen. Angesichts der immer krasser werdenden faschistischen Umtriebe, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, der Tendenz über Gen- und Reproduktionstechnologie eine Neo-Eugenik zu festigen und vieles mehr, halten wir es für einen wesentlichen Schritt, einem solchen Zentrum antifaschistischen Charakter zu geben.
Der Kampf gegen den Faschismus - egal, ob er offen zutage tritt, oder versteckt sein Unwesen treibt - ist eine Grundvoraussetzung für den Kampf um befreites Leben.

Das Leben zurückerobern!

Vor uns liegt eine Welt zu erfinden!

Die BewohnerInnen des Ernst-Kirchweger-Hauses.

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Flugi aus der EKH-Anfangszeit

Seit der Besetzung des Wielandschule am 23.6. werden mit der KPÖ, als Eigentümerin, Verhandlungen geführt. Es gibt einiges darüber zu sagen, wie diese Verhandlungen geführt werden, und wie die Politik der KPÖ uns gegenüber aussschaut. Mit diesem Flugi wollen wir der Öffentlichkeit und der KPÖ-Basis erklären, warum wir diese Aktion durchgeführt haben und wie die Parteileitung sich unseren Forderungen stellt.

ERNST-KIRCHWEGER-HAUS - GEMEINSAM WOHNEN - GEMEINSAM ARBEITEN


Ein internationalistisches antifaschistisches Zentrum

Wir, verschiedene österreichische und ausländische Gruppen - AsylantInnen, Obdachlose, AktivistInnen der Antifa-Bewegung u.a. - haben dieses Haus besetzt, um unsere Vorstellungen von kollektivem Zusammenleben und -arbeiten verwirklichen zu können. Das Haus im Besitz der KPÖ wird großteils nicht oder nur vorübergehend benutzt. Wir fordern die leerstehenden Räume für uns und die teilweise benützten zur gemeinsamen Arbeit gegen Faschismus, Rassismus und Fremdbestimmung.
Die KPÖ bietet uns einen ziemlich heruntergekommenen Theatersaal im Haus an - zur kulturellen Nutzung! Das ist wohl nicht das, was wir uns vorstellen: Einen Saal zum Konzerte und Veranstaltungen organisieren finden wir allemal (Arena, Flex, usw.). Wir lassen uns nicht auf die Ebenen der irgendwie anderen Kultur wegdrängen. Ein bischen WUK, ein bischen Underground - damit geben wir uns nicht zufrieden. Unser Kulturbegriff umfaßt wesentlich mehr als unkonventionelle Konzerte und Theateraufführungen. Kultur kann, wenn sie gesellschaftliche Verhältnisse verändern soll, nicht als isoliertes Projekt betrachtet werden. Die Trennung des Lebens in Arbeit - Freizeit; privat - politisch; kritisch nachdenken - dumm vor sich dahindämmern; etc. ist eine wesentliche Grundlage der Entfremdung und Ausbeutung.
Unser Ziel ist, diese Trennung zumindest teilweise aufzuheben. Die Gespräche mit der bisherigen Verhandlungsdelegation - ohne irgendein Mandat oder eine Entscheidungsbefugnis (!) - haben aber eher gezeigt, daß die KPÖ uns in diese Trennung hineinpressen möchte.
Es kommt der Verdacht auf, daß die KPÖ nach wie vor - Erneuerung hin oder her - auf politischen Alleinvertretungsanspruch pocht; wir können uns kulturell herumspielen, alles andere checkt die KPÖ. Oder vielleicht ist das wesentlich einfacher zu verstehen?
Gibt es da nicht kleinbürgerliche Ängste vor unserer subkulturellen Lebensweise?
Andererseits müssen wir auch unterstellen, daß die KPÖ als Verteidigerin ihres Besitzes, auch intrigant gegen uns vorgeht. Warum werden die ausländischen GenossInnen in der KP-Presseerklärung nicht erwähnt? Ist es vielleicht, im Falle einer gewaltsamen Räumung, für die KPÖ politisch schwer zu vertreten, warum sie Flüchtlinge, egal ob anerkannt oder nicht, auf die Straße setzt? Die Nichterwähnung der ausländischen GenossInnen ist mit massiven Spaltungsversuchen gepaart: Einzelnen GenossInnen werden bei Gesprächen irgendwo am Gang, im Stiegenhaus, leerstehende KPÖ-Lokale angeboten!

Da stellen sich für uns einige konkrete Fragen:

- Warum hat die KPÖ ausländischen Organisationen bisher keine leerstehenden Objekte angeboten? Hat sie nichts von der Not der AusländerInnen gewußt?
- Es wird nach wie vor das Wohnproblem, besonders der ausländischen GenossInnen ignoriert.
- Wenn die KPÖ, im Rahmen ihrer politischen Erneuerung, ein breites linkes Bündnis anstrebt, muß sie einerseits die unterschiedlichen Herangehensweisen akzeptieren und darf andererseits nicht brachliegende Infrastruktur zurückhalten (als Druckmittel?).

Währendessen die KPÖ hin- und herkadert, setzen wir TATEN.

INSTANDBENÜTZEN STATT KAPUTTBESITZEN

BewohnerInnen des Ernst Kirchweger Hauses

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Flugblatt aus der Anfangszeit (ungefähr 1992) - sollte zur Information von Leuten, die neu einziehen und überhaupt allen BesucherInnen dienen. Diese Flugi gab´s auch auf englisch und französisch.

Ernst Kirchweger Haus BenützerInnen Information

Dieses Papier richtet sich an alle Gäste, BewohnerInnen und BenützerInnen des EKH und soll denen, die die Geschichte des Hauses nicht kennen, später hierher kamen oder nur kürzere Zeit hier sind, grundsätzliches erklären und verschiedenste Mißverständnisse auf dem Weg räumen.

Dieses Haus, in dem ihr alle verkehrt, hat weder Gott, noch eine Behörde, noch sonst ein Überwesen geschaffen. Das Haus wurde im Juni 1990 von kurdischen KommunistInnen (kämpfen für einen eigenen kurdischen Staat und gegen den Faschismus in der Türkei) und österreichischen Autonomen (politische Gruppe, die gegen Staaten als Herrschaftsinstrumente, patriarchale Gesellschaftsstrukturen, Sexismus, Rassismus, Faschismus kämpft) besetzt, das heißt in einer illegalen Aktion dem rechtmäßigen Besitzer (KPÖ - Kommunistische Partei Österreichs) teilenteignet. Im April 91 gelang es, für den dritten Stock und den Keller (Veranstaltungsbereich) des Hauses Mietverträge zu erlangen (dies passierte auch aufgrund interner Schwierigkeiten in der KPÖ).

Alle Gruppen und Personen, die das Haus benutzen, tun dies unabhängig von Institutionen des österreichischen Staates.
Der Besetzung des Hauses lag der Willen nach Schaffung eines internationalistischen, antifaschistischen, multikulturellen Zentrums zugrunde. Unter diesem Titel wurde die Besetzung dann auch politisch durchgesetzt. Seit damals kämpfen wir um den Erhalt des Hauses, um ordentliche Mietverträge, um unsere Benützungsrechte.

Das Ernst Kirchweger Haus soll ein Haus für Menschen aus Österreich sein, die von hier aus politisch arbeiten und agieren wollen. Das Ernst Kirchweger Haus soll ein Haus für alle Gruppen und Menschen sein, die in ihren Zusammenhängen politisch arbeiten und agieren wollen, ein Haus für Flüchtlinge außerhalb von staatlicher Betreuung und Kontrolle, außerhalb von caritativer Gnade. Ein öffentliches Haus für politische und kulturelle Aktivitäten, ein Haus zum Mit-, oder wenigstens Nebeneinander Wohnen, selbstorganisiert von seinen BenützerInnen.
Zu den ursprünglichen zwei BesetzerInnengruppen, Kurden und Autonome, kamen im Laufe der Zeit ein Bereich für Flüchtlinge mit offenen Asylanträgen (organisiert vom Flughafensozialdienst), eine Kindergruppe, sowie der Verein Romano Centro (Roma und Sinti hauptsächlich aus Jugoslawien), die sich heir vor allem kulturell organisieren, sowie immer wieder Einzelpersonen oder Gruppen aus der politischen Linken.

Wir (Autonome) versuchen hier im Ernst Kirchweger Haus mit allen hier wohnenden Menschen solidarisch zu leben, politisch zu arbeiten, den Kulturbereich im Keller zu sanieren. Wir werden aber andauernd in die Rolle von Hausmeistern oder Vermittlern zwischen den verschiedenen Parteien gedrängt, sind gezwungen, die meisten Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Außerhalb des Hauses sind wir konfrontiert mit Behörden und Faschisten, innerhalb des Hauses oft mit Gewalttätigkeiten, Sexismus und Chauvinismus, Intoleranz, Vandalismus und Unverantwortlichkeit.
Die wenigsten der hier im Haus lebenden oder arbeitenden Menschen haben Geld oder Arbeit. Wir sind die einzigen, die hier aufgrund der Verträge Betriebskosten bezahlen, und zwar anteilsmäßig an allen Kosten (das heißt, je unverantwortlicher mit Strom, Heizung, Infrastruktur etc. im Haus umgegangen wird, desto mehr müssen wir bezahlen).

Noch einmal: das Ernst Kirchweger Haus ist ein von staatlichen und caritativen Organisationen unabhängiges Haus. Es gibt hier - und wir dulden hier - keine Chefs, keine Polizei, keine Putzfrauen und keine Hausmeister. Es ist notwendig, daß wir solidarisch und konstruktiv miteinander umgehen. Jede Person, die das Haus benutzt, ist für das Funktionieren des Hauses und die Sicherheit seiner MitbenützerInnen verantwortlich.
Um das zu erreichen ist es aber notwendig, daß wir nicht nur von Selbstverantwortlichkeit reden, sondern auch danach handeln.

Wir wollen hier einige Themen ansprechen, die uns für die gemeinsame Nutzung des Hauses wichtig erscheinen:
Das Gesellschaftssystem in Österreich basiert - wie fast überall auf der Welt - auf der Unterdrückung eines Teils der Bevölkerung durch einen anderen: der Unterdrückung von Frauen durch Männer. Diese Auswüchse männerdominierter Gesellschaften zeigen sich durch bestimmte Verhaltensweisen und ziehen sich bis tief in alle Lebensbereiche hinein: Frauen werden weniger ernst genommen als Männer, Frauen werden als "Dinge" behandelt, die ein Mann "besitzen" kann, Frauen werden von Männern benützt, geschlagen, eingesperrt oder vergewaltigt. Unser Bestreben muß es sein, gegen diesen Sexismus und die patriarchalen Verhaltensweisen vorzugehen.
Ein Kampf um Befreiung, ein Kampf gegen Unterdrückung ohne Kampf gegen Sexismus und Patriarchat ist kein revolutionärer Kampf!

Persönliche Konflikte öund Streit müssen persönlich ausgetragen werden. Die Einschaltung von Polizei bedeutet eine Anerkennung der staatlichen Repression. Die meisten Leute im Haus haben Probleme mit Polizei oder Behörden, weil sie von rassistischen Gesetzen bedroht werden oder weil ihre politische einstellung nicht systemkonform ist. Deshalb: keine Polizei und Behörden im Ernst Kirchweger Haus. Wir müssen lernen, selbst mit Konflikten umzugehen.
Das schließt auch mit ein, daß wir selbst bestimmten, welche Personen keinen Zutritt zum Haus haben (Faschisten, Leute, die nur Streit suchen etc.). Interne Konflikte und Streits müssen ohne Gewalt gelöst werden können.

Schwierigkeiten ergeben sich auch immer wieder in bezug auf die Sauberhaltung des Hauses. Es ist notwendig, daß alle Leute, die Bereiche, die sie benutzen, auch rein halten (WC, Gang, gemeinsam benutzte Räume, Mülltrennung etc.).

Noch einmal: wer im Ernst Kirchweger Haus Frauen diskriminiert, Streit mit Gewalt lösen will, faschistisch oder rassistisch spricht oder handelt oder seine "Geschäfte" macht, hat von unserer Seite mit ernsten Schwierigkeiten und Rauswurf zu rechnen!

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Zur Praxis des neuen Fremdengesetzes

Am 8.1.1993 wurde das Fremdengesetz, das seit 1.1.93 in kraft ist, in der Praxis geübt.

Gegen 23 Uhr stürmten Polizisten verschiedener Abteilungen (Alarmis und Zivile) den 4. Stock des antifaschistischen Zentrums Ernst-Kirchweger-Haus in Wien 10, Gudrunstraße/Wielandgasse. Der angebliche Grund dieser Hausdurchsuchung: ein Überfall eines jugoslawischen Staatsbürgers auf eine Billa-Filiale im 10. Bezirk.
Die Polizei stürmte also den 4. Stock unter dem Vorwand, einen Jugoslawen zu suchen. Es war allerdings sehr schnell zu bemerken, daß keineswegs nur eine Person gesucht wurde. Der Wohnbereich von KurdInnen und Kurden wurde zielstrebig angesteuert und abgeriegelt. Und damit kein Zweifel aufkommt: eine Wohnung im selben Stock, die von einem Österreicher bewohnt wird, blieb unangetastet.

Wir schließen aus dieser Vorgangsweise, daß es der Polizei hauptsächlich darum ging, das neue Fremdengesetz exemplarisch an einem Haus zu exekutieren, das dafür bekannt ist, Flüchtlingen und anderen ausländischen Menschen Unterkunft zu gewähren.

Wie sieht diese Hausdurchsuchung nach dem neuen Fremdengesetz praktisch aus:
Ca. 20 Uniformierte der Alarmabteilung (Wega) in Begleitung von etlichen Zivilbeamten stürmen den 4. Stock des EKG und konzentrieren sich sofort auf die linke Seite dieses Stockwerkes. Österreichische BewohnerInnen des EKH fragen nach was sie da wollen, ob sie einen Hausdurchsuchungsbefehl haben. Es werden widersprüchliche oder falsche Antworten gegeben: zuerst heißt es, den Hausdurchsuchungsbefehl bekommen wir nach der Aktion, es gehe uns nichts an warum sie da sind; dann heißt es, einen Hausdurchsuchungsbefehl gäbe es derzeit nur telefonisch, den Auftrag hätten sie telefonisch von einem U-Richter bekommen. Offensichtlich weiß die Polizei sehr genau, wo sie zu suchen hat (ebenso offensichtlich war es, daß sie den gesuchten Jugoslawen dort nicht finden werden). Alle Zimmer im Wohnbereich der KurdInnen werden gestürmt - teilweise mit gezogener Waffe. Verschlossene Türen werden mit einem Vorschlaghammer zertrümmert. Alle BewohnerInnen müssen sich am Gang aufstellen, die Hände erhoben und an der Wand, hinter ihnen ein Bulle mit gezogener Waffe. Die - teilweise mit "Haßkappen" vermummten - Polizisten verschließen die Zimmer von innen (mit ihren Handschellen) und verwüsten, d.h. durchsuchen sie. Den Leuten wird ein Paß des vermeintlich gesuchten Jugoslawen gezeigt, es wird gefragt, ob sie diesen kennen. Zwei Leute werden geschlagen, weil sie weder die Frage verstehen noch, deswegen, darauf antworten können.
Auf die Frage, was sie in den Zimmern überhaupt suchen immer die gleiche Antwort: Beweismaterial. Wofür und was dieses Beweismaterial sein soll wird nicht gesagt. Immer wieder kommt die Drohung, daß auch der 3. und der 2. Stock durchsucht werden sollen.
Im 4. Stock wird ein Kurde, der keine Papiere hat, festgenommen und abgeführt. Auf die Frage nach dem Grund der Verhaftung werden nur ausweichende Antworten gegeben. Am nächsten Tag erfahren wir, daß der Kurde aus fremdenpolizeilichen Gründen festgenommen wurde und in Schubhaft genommen wird.
Die Polizei nimmt 2 Kartons, wahrscheinlich mit Flugblättern, mit. Es werden von Polizeifotografen viele Bilder im Haus gemacht, teilweise wird versucht, auch Leute zu fotografieren. Es geht ihnen aber anscheinend mehr darum, das Haus von innen kennenzulernen.
Sehr schnell wurde von den österreichischen BewohnerInnen eine Telefonkette ausgelöst. Innerhalb relativ kurzer Zeit kommen ca. 50 Leute ins Haus, darunter auch ein Gemeinderat der Grünen. Er wird erst reingelassen, als er sich als Gemeinderat ausweist. Ein Bewohner, der sich als MieterInnenvertreter deklariert, wurde zuvor nicht ins Haus gelassen.

Fazit: unter dem Vorwand, einen Jugoslawen, der an einem Raub beteiligt gewesen sein soll, zu suchen, wurden ausländische Menschen brutal aus ihren Wohnungen geholt und ihr Zimmer verwüstet. Nicht einmal eine rechtliche Grundlage für diesen vorwand konnte vorgewiesen werden. Das ganze war eine Praxisübung rassistischer Gesetze. Ein Kurde, der keine Papiere hatte und gerade im Haus anwesend war, wurde festgenommen und in Schubhaft gesteckt.
Die Polizei versucht offensichtlich mit dieser dritten Hausdurchsuchung im EKH innerhalb von 5 Wochen eine argumentative Linie aufzubauen, die im Bedarfsfall gegen dieses Haus angewandt werden kann. Zuerst war der Vorwand "Drogen", jetzt "Krimineller".
Die Vorgangsweise der Polizei ist in Zusammenhang mit der repressiven, rassistischen Gesetzeslage in Österreich zu sehen, die es zum Beispiel ermöglicht, Hausdurchsuchungen in Wohnungen in denen sich mehr als 5 Menschen aus anderen Ländern aufhalten, ohne richterlichen Befehl durchzuführen.

Wir fordern die sofortige Freilassung des Verhafteten
Organisiert den antirassistischen Schutz

Internationalistische Vereinigung zur Verhinderung rassistisch motivierter Polizeiübergriffe

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Flugblatt vom Mai 94

Große Freiheit Nummer Zehn
Über die Verhaltensweisen mancher Leute im EKH

Als Kommunist (für manche von euch "Linksfaschist") könnt ich mich ja zurücklehnen und grinsen. Der Anarchismus diskreditiert sich wieder einmal selbst. Tu ich aber nicht, da mir das Ernst Kirchweger Haus als politisches und kulturelles Projekt einfach zu wichtig ist. Manche von euch aber verstehen die Tatsache, daß die BetreiberInnen des Beisls nicht immer Lust haben Hilfsbullen zu spielen offenbar als Aufforderung mal richtig die Sau ´raus zu lassen. Da besauft ihr euch sinnlos, fangt Wickel an, laßt eure Köter frei herumlaufen und sich gegenseitig zerfleischen, stürzt kommod ab, macht Dreck, daß einer Sau das Grausen kommt.
Glaubt ihr all das hat etwas mit selbstbestimmtem Leben oder mit Anarchismus zu tun? Hat es nicht! Das Grundcredo des Anarchismus ist (sollte für alle eigentlich klar sein):
Alles ist erlaubt solange es niemanden beeinträchtigt!
Und eben dieses "Beeinträchtigen" wird von manchen von euch in einem unerträglichen Ausmaß praktiziert.
Kapiert ihr eigentlich, daß ...
- ...viele Leute vor euren Kötern Angst haben und es für sie auf keinen Fall leiwand ist den Aufenthalt im Beisl als einen Spießrutenlauf zwischen knurrenden und raufenden "Bestien" zu erleben.
- ...viele Leute den Aufenthalt im Beisl wegen der alkoholisierten "tiaf´n" und aggressiven Atmosphäre meiden.
- ...viele Leute es satt haben über Alk-Leichen drüber zu steigen.
- ...der Bardienst hier umsonst arbeitet und nicht eure persönliche Aufräumkollone ist, und es deshalb extrem grindig und unsolidarisch ist ca. 10 mal mehr Müll zu machen als ihr in einem anderen Lokal euch überhaupt trauen würdet.
- ...Machotypen, welche sich anmaßen Frauen sexuell zu belästigen, anzumachen oder gar schlagen genau solche repressiven Schweine sind wie Faschisten und deshalb genauso behandelt gehören. Das heißt: Rauswurf und falls er nicht freiwillig geht, wird seine Einsicht mit entsprechenden Mitteln beschleunigt. Typen, die sich mit ihm solidarisieren können das gerne machen: aber draußen!

Kapiert endlich, daß das EKH keine Spielwiese für eure privatanarchistischen Gelüste ist sondern ein Freiraum für alle, die sich am Aufbau einer politischen, sozialen und kulturellen Gegenbewegung zur herrschenden Scheiße beteiligen wollen!
KriegsgewinnlerInnen (damit mein ich Leute, die sich von sozialen Kämpfen den Rahm abschöpfen wollen ohne sich an ihnen zu beteiligen) und Konsumzombies welche sich nur billig besaufen und Wickel machen wollen, denen es aber "wurscht ist, ob sie das bei den Linken oder bei den Rechten machen" (Originial Zitat von ein paar Punk-Dumpfbacken) brauchen wir hier drinnen nicht.
Nehmt diese Kritik zur Kenntnis, verhaltet euch dementsprechend oder verpisst euch!
(einer, dem es schon lange reicht)
PS: Betrifft mitgebrachten Alk: Ich schleppt da massigst Alk herbei und drangelt euch nieder. Und wer räumt die Flaschen, Dosen, eure Speibe oder eure Körper weg?: erraten: die Trotteln vom EKH.
Also: wenn ihr schon vorhabt, euch in diesem Beisl eure letzten Hirnzellen zu vernichten (wofür dieses Beisl eigentlich nicht gedacht war), dann blecht wenigstens dafür, damit mir eurer Kohle wenigstens die Struktur erhalten bleibt!

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Text aus der Broschüre zur Aufführung der Dreigroschenoper von Bertl Brecht im EKH im September 94 - VolXtheater Favoiten

Werte Opernfreunde

Vielleicht kennen Sie das (Ernst Kirchweger) Haus gar nicht, mag sein, sie kennen des als Concertsaal, als Bar, als Haus vollen Fremder, Kurden, Zigeuner, Afrikaner, als Haus voller lärmender Kinder und Hunde, als Ort politischer Ansprüche, der Information und Kommunikation, oder nur als Baustelle. Wie auch immer, sie sollen jetzt etwas Neues kennenlernen: das Haus als Oper! Als im vergangenen Veranstaltungsjahr die Post so richtig abgegangen ist, Konzerte und Culture und Politics, da setzte bei manchen Organisatoren und Gästen ein folgenschwerer Denkprozeß ein: nur Organisieren und Konsumieren ist fad, selber was auf die Beine stellen, Output, Produktion, das wäre was! Da viele Menschen einfach nicht in der Lage sind, eine Band zu gründen, ein Instrument zu spielen, lag es recht nahe, auf den Hund, sprich das Theater, und für Nichtmusiker, auf das einzig dem Armen mitgegebene Instrument, die Stimme zu kommen. Theater + Gesang = Oper?!! Das VolXtheater Favoriten war geboren. Und fähige Schauspieler, Regisseure und Bühnentechniker schossen wie Pilze aus dem gärenden Morast der "Szene", fähige Musiker schlossen sich an. So Etwas wie ein "kulturpolitischer Anspruch" wurde geboren, der da lautet: Reetablierung von Theater, Klassik, Oper, in der Subkultur, Kultur von Unten, Gegenkultur.

Wir träumen nun nicht mehr ausschließlich davon, Opernhäuser niederzureißen und abzubrennen, wie etwa der junge Richard Wagner, der bei der Inbrandsteckund der Dresdner Oper im Revolutionsjahr 1849 selbst mit Hand angelegt haben dürfte, nein, wir teilen die Träume von Brecht und Weill, die da fordern "die große Maschinerie Oper einer neuen gesellschaftlichen Verwendung zuzuführen, sich diese Form radikal zu erobern, und für eigene, neue und aufregende Zwecke zu mißbrauchen". Diese Forderung gliedert sich inhaltlich danach, mit aktuellen Stoffen gesellschaftliche Zwangsverhältnisse nicht zu verschleiern, sondern aufzudecken, musikalisch darin, "gängige Schlagermelodien", also aktuelle Kulturformen, "Popmusik", in die klassische Musik zu integrieren, jene damit vom elitären Sockel zu stoßen, und ihr damit einen allgemeinen, alltäglichen Gebrauchswert wiederzugeben. Damit landen wir bei Brecht, auf den wir, auf unserer Suche nach Stoff für unsere erste große Eigenproduktion, naturgemäß bald gestoßen sind. Die "Dreigroschenoper", jeder kennt das Ding dem Namen nach, wer kennt nicht den "Haifisch-Song", erschien am geistigen Horizont, und wurde als das Werk entdeckt, das am ehesten die Brücke zwischen Hard-Core-Dub-Trash-Banger Publikum und hoher Mimi schlagen könnte. Bei unserer Bearbeitung der schrägen Story von Räubern und Gendarmen, Kapitalismus und Bettelei, mußten wir uns mit dem von Brecht definierten Begriff des "Epischen Theaters" auseinandersetzen, einer radikal anderen Definition des Begriffs Theater an sich.
Näher auszuführen würde hier den Rahmen sprengen, was dabei herausgekommen ist, werden sie auf der Bühne sehen. Da die letzten paar Operballdemos in Spazierkesselversion auch nicht gerade das Gelbe vom Ei waren, und ihr wahres Ziel, nämlich uns einen passenden Spielort zu besorgen, verfehlten, beschlossen wir notgedrungen, eben auf unsere eigene, obschon eigentlich viel zu kleine, Infrastruktur, eben das Haus, zurückzugreifen. Das entstandene Ensemble kommt also ganz und gar aus Haus und Umfeld, keine Profis nirgendwo, kein "Künstler", keine krude Wissenschaft ist da um uns die Intuition zu rauben. Wir alle wissen, daß es mit Chef und Hierachie, mit Zuckerbrot und Peitsche viel leichter geht im Leben, wir alle pfeifen darauf, auf dieses Wissen. Das ganze heißt deshalb "Gemeinschaftsproduktion", es gibt keine getrennten Funktionen, alles, Regie, Konzept, Bühne, etc. kommt aus vielen Bäuchen. Soetwas zu Zwanzigst durchzuziehen bedeutet so etwas wie verdammt harte Arbeit. Die dabei entstandenen gruppenpsychologischen Phänomene gemahnen an genau jene obskuren Geschichten, die wir von der chaotischen Uraufführung des Stückes im Berlin des Jahres 1928 zu hören bekamen. Kann nur ein gutes Omen sein, denken wir uns dazu. Die Musik zu dem Ding hat der wüste Weill geschrieben, ganz unglaubliches Material,wir setzen dem noch eins drauf, indem wir dem Dreigroschenorchester die Mackie-Messer-Band gegenüberstellen, und so in der Lage sind, euch Geigen und E-Gitarre gleichzeitig und wechselweise um die Ohren zu knallen. Das Theatergewerbe gründet sich von Alters her auf dem Gewerbe der Bettler und Schnorrer, eine Produktion in dieser Größenordnung kostet normalerweise sowas wie ein kleines Vermögen. Wir versuchten also logischerweise öffentliche Subventionstöpfe anzuzapfen, erarbeiteten ein straightes, realistisches Finanzkonzept, und suchten um Förderungen in der Höhe von nahezu dreißigmillionen Groschen (= 288.000,-- öS) an, in der Hoffnung dafür wenigstens ein bischen Kohle zu ergattern. Wir pilgerten damit von Pontius zu Pilatus, zu Bund und Land und Gemeinde und Bezirk, ja zur Gewerkschaft gar, wir verwiesen darauf, daß von den fast 100 Weiner Theatern kein einziges in Favoriten, also der einwohnermäßig viertgrößten Stadt hierszulande, steht, und wir erhielten ... nichts als Absagen, Absagen, Absagen. Immer mit dem Verweis "zu spät!", "die Töpfe sind leer", "wer eine dermaßen große Produktion angeht mus sich ein Jahr vorher (!) um das nötige Geld anstellen" und so weiter und so fort. Milliarden und Millionen fließen in österreichische Hochkultur, wie haben beschlossen, das Ding halt ohne eine Groschen Kohle, ausschließlich auf Kreide zu produzieren.

Drei Groschen beträgt der Wert einer halben indonesischen Nelkenzigarre.
Drei Groschen beträgt der Wert einer durchschnittlichen Möhre, wenn mensch im 40-Tonnen-Maßstab kauft.
Drei Groschen beträgt der Wert einer guten jakutischen Nähnadel.

Keine drei Groschen soll der Wert unserer Oper betragen!

Lassen sie niemanden die nächsten Wahlen gewinnen, schon gar nicht jene, die das Wohnrecht zum Recht der Eliten degradieren, Menschen auf der Text aus der Broschüre zur Aufführung der Dreigroschenoper von Bertl Brecht im EKH im September 94 - VolXtheater Favoriten


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Am 19.4.95 wurden unsere Freunde Gregor Thaler und Peter Konicek in der Nähe eines Strommastens in Ebergassing/Niederösterreich tot aufgefunden. Die Zeit nach dem Auffinden der beiden, nach dem mißglückten Anschlag, war eine sehr wichtige und einschneidende in der Geschichte des EKH.
Hier ein Text aus dem TATblatt +34 vom 26.4.95.

Der Feind steht links!

Am Mittwoch den 19. April werden im Rundfunk die ersten Berichte über den mißglückten Anschlag bei Ebergassing gesendet. Bis zum späten Abend heißt es, die gefundenen Toten könnten nicht identifiziert werden. Währenddessen werden mehrere Hausdurchsuchungen "im Umfeld" von Peter und Gregor durchgeführt. Eine betrifft das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) in Wien. In den darauffolgenden Tagen hetzen JournalistInnen und PolitikerInnen. Tageszeitungen werden offenbar Stapoakten von Peter und Gregor zugespielt.

Mit einem Durchsuchungsbefehl wurde das EKH spätabends am 19. April umstellt. Mit dabei war die paramilitärische Einheit der Wiener Polizei (WEGA) und diverse technische Hilfsmittel (2 Wassenwerfer, Tretgitter). Die anwesenden BewohnerInnen des Hauses und BesucherInnen des Antifa-Cafés erfuhren erst nach und nach welchen Vorwand die Polizei für den Aufmarsch mitbrachte. Alle Anwesenden wurden fotografiert. Ausweise kontrolliert, einige auch durchsucht. Dasselbe wiederfuhr auch PassantInnen vor dem EKH.
Angesichts der Übermacht begannen Verhandlungen mit der Polizei über die Form der Durchsuchung. Die Polizei verlangte, daß die BewohnerInnen zuerst das Haus verlassen sollten. Die Leute vom EKH boten an, die Räume zu öffenen, wenn sie die Durchsuchung begleiten könnten. Nach einiger Zeit wurde diese Vereinbarung erzielt. Den anwesenden Beamten der paramilitärischen WEGA-Einheit kümmerte diese Vereinbarung nichts. Sie begannen die Durchsuchung im ersten Stock so wie sie es gelernt hatten. Im Bereich des Roma-Vereins (Romano Centro) und der türkischen ATIGF wurden die Türen entweder mit Brecheisen aufgebrochen oder schlicht mit Vorschlaghämmern eingeschlagen. Schlafende Roma wurden aus den Betten gezerrt, einer geschlagen und die Zimmer verwüstet. Nachdem sich die WEGA´s ausgetobt hatten wurde die weitere Durchsuchung nach Vereinbarung durchgeführt.
Gefunden wurde nichts. Laut Durchsuchungsbefehl hätten die Beamten nach Sprengstoff suchen sollen. Nach Abbruch der Durchsuchung beschlossen sie dafür einen Computen in Gewahrsam zu nehmen. Den mittlerweile anwesenden RechtsanwältInnen des EKH wurde mitgeteilt, daß der Journalrichter eben den Durchsuchungsbefehl erweitert habe.

Warum das Ganze?

Nicht übersehen sollte werden, daß Polizei und Justizbehörden die Trauer als Waffen einsetzen: Wer immer beschloß, das Ernst Kirchweger Haus zu durchsuchen, war sich bewußt, daß dort für die ErmittlerInnen im Fall Ebergassing nichts zu finden war. Bereits vor zwei Jahren war Gregor von einem Gericht wegen "listiger Umtriebe zur Umgehung der Wehrpflicht" verurteilt worden, weil er im EKH eben NICHT für die Behörden erreichbar war. Sehr großes Interesse entwickelte die Behörde bei der Ausleuchtung des EKH-Umfelds. Ein sehr weitläufig um das Haus gezogenes Sperrgebiet ermöglichte es, alle Leute, die in Unkenntnis der Zusammenhänge und aus Solidarität in Angst vor einer Räumung mitten in der Nacht nach Favoriten gefahren sind, zu kontrollieren: vielfach auch durchzusackeln.
Die Umstände des Todes von Peter und Gregor sind nicht gekärt, und sie werden auch wohl kaum zu klären sein. Den Behörden aber geht es nicht um die Klärung dieses Todes. Für sie ist es nichts anderes als eine Chance, eine kritische Öffentlichkeit zu beobachten, einzugrenzen, eben: Infos über Linke zu sammeln.
Über Personen, Umstände und Zeitpunkte Spekulationen anzustellen hilft nicht bei der Klärung der Todesumstände von Gregor und Peter, sondern lediglich der Polizei bei der "Ausleuchtung" kritischer Öffentlichkeit...

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Ein weiterer Text zum Tod von Gregor und Peter in Ebergassing
aus dem TATblatt Nr. plus 36 vom 26.5.95

Zeit der Analyse?
Zumindest ein paar Basics...

In Ebergassing, so hätten´s manche gern, fand gar kein Anschlag statt. Vielmehr, so wird gern zwischen einzelnen Bierschlucken kolportiert, wären Gregor und Peter
- nach Ebergassing in eine Sprengfalle gelockt worden; oder
- von Nazis erschlagen und zu den noch ungezündeten Sprengladungen gelegt worden; oder
- einem geheimnisvollen dritten Mann auf den Leim gegangen. Dieser hätte das ganze so inszeniert, daß die beiden zu Tode kammen.
Eine vierte Variante (wie die anderen im Beirrausch kolportiert) hab´ ich versprochen geheim zu halten, auf das sie ausrecherchiert und mit großen Trara der Öffentlichkeit präsentiert werden; verraten sei nur soviel: da haben ganz, ganz böse Geheimdienste ihre Finger im Spiel!!!!

Na gut: Wäre ja theoretisch möglich, daß sich eine der oben angeführten Verschwörungstheorien einmal als richtig herausstellte; aber bis dahin wäre es irgendwie angebracht, sich nichts vorzumachen: Wie´s aussieht haben da zwei Leute aus der Linken einen Strommasten in die Luft sprengen wollen. Sie taten das aus politischen Gründen: und sie waren bemüht, daß ihre Aktion keine Menschen verletzen würde. Punktum
Diese Feststellung, so trivial sie auch erscheinen möge, ist Voraussetzung jeglicher Diskussion über Widerstand, Gewalt, die Politik der Grünen etc.. Träfe nämlich eine der eingangs skizzierten Verschwörungstheorien zu, wären sie zu diskutieren, und wir bräuchten nicht über Widerstand, Gewalt ... (und so) zu sprechen. O.k.?

Ein paar Basics

Am Beginn der Diskussion über den Anschlag von Ebergassing und die Folgen gilt´s aber auch, noch ein paar Sachen festzuhalten:
- F-Mitglieder brauchen nicht mehr in den Keller (remember "Kellernazis"?) zu gehen, um sich positiv auf der "3. Reich" ("ordentliche Beschäftigungspolitik") zu beziehen und autoritäre Gesellschaftsmodelle ("3. Republik") zu propagieren. Sie können das vielmehr mit offener Unterstützung eines nicht gerade kleinen Teils der WählerInnen tun. Und sie können damit rechnen, daß diese Offensive rechtsextremer Positionen von Medien und Politik mehr oder minder akzeptiert wird (LH Krainer: "F innerhalb des Verfassungsbogens").
- Die F versucht ganz generell, das politische System zu destabilisieren. Sie nützt jede sich ihr bietende Gelegenheit, um die politische und gesellschaftliche Situation in Österreich als labil, die leading figures als ineffektiv und zu soft darzustellen. Sie würde daher jede und jeden MinisterIn politisch zu vernichten suchen, wenn sie darin auch nur die geringste Chance auf Erfolg sähe.
- Die ÖVP hingegen sucht gerade ein neues Profil, um sich im Bild der Öffentlichkeit sowohl von der SPÖ als auch von der F abzusetzen. In der Praxis jedoch verkommt das zum Richtungsstreit zwischen jenen, die ihr Heil in der Fortführung des korporatistischen Modells sehen und jenen, die sich lieber an das polarisierende Modell der FPÖ anlehnen wollen. Der Anschlag von Ebergassing bot kurzfristig die Gelegenheit, diesen Bruch zu überspielen, da sich keine ÖVP-Position im Schußfeld befand (im Gegensatz zur SP und den Grünen). Das Fehlen des gemeinsamen Bunkerreflexes hat allerdings zu Tage treten lassen, daß am "rechten Rand" der ÖVP ein Streit um die zukünftige Person des österreichischen von Papen tobt (Von Papen war jener Politiker, der Hitler die legale Machtergreifung ermöglichte in der Hoffnung,daß es selbst, sobald die NSDAP der Linken den Garaus gemacht hatte, die Kanzlerschaft übernehmen würde. Von Papen wurde nach Festigung der NS-Herrschaft auf den Posten des deutschen Botschafters in der Türkei abgeschoben ...).
- Aus den geschildersten Gründen ergibt sich, daß Zeitpunkt und Art des Anschlages von Ebergassing geradezu genial gewählt waren - leider jedoch ausschließlich aus dem Blickwinkel der ÖVP bzw. der F.
- Die SPÖ hat, so sie überhaupt wollte, der Rechtsorientierung ohnehin nichts entgegenzusetzen. Sie verfolgt seit Gründung der zweiten Republik eine paternalistische Politik, die über die Bürokratisierung sozialer und politischer Bedürfnisse das Leben der Menschen kontrollieren möchte. Es war ausdrückliches Ziel dieser Politik, das Entstehen unabhängiger Strukturen außerhalb der offiziellen TeilnehmerInnen am Korporatismus (also Großparteien, Kammern etc.) zu verhindern. Auch die SP hat sich dem Rechtstrend nicht verschließen können. In vielen Punkten (z.B. bei der Durchsetzung rassistischer Gesetzesverschärfungen) ist die SPÖ sogar federführend.
- Die Grünen sind ein Kind dieser SP-Politik. In ihrer Entwicklung zur Partei haben sie gerade die unabhängigen Strukturen in sich aufgesogen und damit reinstitutionalisiert. Nicht zuletzt deshalb glauben sie heute, vor den Toren der Machtbeteiligung zu stehen. Den Schritt durch diese Tore wollen sie sich nicht nehmen lassen. Unabhängige Strukturen sind da eher hinderlich, denn sie halten sich nicht an die parteiintern vorgegebenen Ziele. Die Abgrenzung von diesen Strukturen ist daher der Preis, den die Grünen für den Eintritt in die Vorhölle der Macht zahlen müssen; und wollen.
- Das offensive Auftreten der FPÖ und das Hinterherlaufen der Regierungsparteien schufen in den Medien, der politischen Debatte und folglich auch "in der Gesellschaft" eine Akzeptanz für autoritäre "Krisenlösungsmodelle" (bzw. war diese Akzeptanz nie verschwunden; sie mußte nur durch entsprechend offensives Auftreten reaktiviert werden).
- Mit dem EU-Betritt und den damit verbundenen wirtschaftlichen Vorgaben/Zielen (z.B. EWS-Kriterien) war auch die Krise gefunden, die Voraussetzung zur Durchsetzung eines Krisenlösungsmodells ist. Die für notwendig erklärte "Budgetsanierung" kann dort am leichtesten durchgesetzt werden, wo die Betroffenen ohnedies nicht der gängigen Vorstellung vom austrian way of living widersprechen: Arbeitslose, alleinstehende Mütter, behinderte Menschen, "AusländerInnen", Lesben, ...;
- Mit dem formalen Beitritt zur EU wurde der ökonomische und politische Zwang verstärkt, infrastrukturelle Bedingungen zu schaffen, die bisher von der lokalen Bevölkerung verhindert werden konnten. Dazu zählt die 380 kV-Leitung, die als einziges Projekt explizit im Regierungsübereinkommen angeführt ist. Die Liste dieser Infrastruktur-Projekte ist mit Straßenausbau (Pyhrn, Wiener Südumfahrung, Transitvertrag ...), Bagatellverordnung, Berggesetz und Abfallwirtschaftsgesetz noch lange nicht vollständig.
- Korrespondierend dazu: Die Möglichkeiten legalen Widerstandes gegen den ganzen Mist werden eingeschränkt. Dabei wird Widerstand nicht nur zunehmend kriminalisiert (z.B. durch die Prozesse um den "Aufruf" zur Mißachtung der Militärgesetze), sondern auch rein formalistische Widerstandakte verunmöglicht (z.B. durch Einreichung neuer Projektunterlagen für die geplante Sondermüllverbrennungsanlage in Ranshofen, mit der die Arbeit der BürgerInneninitiative von mehr als einem Jahr und 50.000 juristische Einwendungen obsolet gemacht wurden).
- Damit aber werden auch Bedürfnisse nach Ausbau der Menschenrechte, der Verfahrensrechte in Umwelt- und Sozialfragen bzw. nach Verbesserung der Position bisher ausgegrenzter Gruppen geweckt und verstärkt (ganz offensichtlich z.B. bei Frauen zu bemerken).
- In diesem Mischmasch entsteht ein diffuses Gefühl von "etwas machen wollen" aber "nichts tun können".

Diese basics geben - mögliche - Antworten auf so ziemlich alle Fragen, die im Zusammenhang mit Ebergassing auftreten: Es war eine politische Aktion, und sie ist nicht einfach vom Himmel gafallen, sondern durchaus ein Ausdruck der zur Zeit hier herrschenden politischen und gesellschaftlichen Realität!
Akzeptieren wir das, bleibt nicht mehr viel übrig von der Behauptung, daß der Anschlag von Ebergassing "Ursache" von irgendetwas (der F-Politik, der geplanten Verschärfungen von ...) wäre: Der Anschlag von Ebergassing an sich hat NICHTS "ausgelöst". Alle handelnden Gruppen zielen auch nach Ebergassing nur auf Durchsetzung von Positionen ab, die sie auch vorher schon hatten.

Aber, aber, aber ...

Trotzdem rettet uns das nicht vor der Auseinandersetzung mit den - zumindest rein zeitlich betrachtet als solche auftretenden - Folgen des Anschlages. Nur ein paar herausgegriffen:
- Die Schaffung eines Konstrukts, wonach der Staat durch Terror bedroht sei. Dieses Konstrukt, das ja wohl offenkundig falsch ist, dient der Rechtfertigung weiterer Eingriffe in bestehende Grund- und Freiheitsrechte (Lauschangriff, ...).
- Gleichsetzung der Aktionen fortschrittlicher Personen und Gruppen mit den Morden und Mordanschlägen der Nazis.
- Neue - ungeschriebene - Regeln für "Staatskonformität" z.B. durch Einführung des Begriffs "Verfassungsbogen". Analog zur Bedeutung im Italienischen wird damit vorauseilender Gehorsam staatlichen Institutionen gegenüber zur Voraussetzung einer Teilnahme am legalen, politischen Diskurs.
- Prompter Stopp fortschrittlicher Projekte durch Entzug von Unterstützung, Geldern bzw. durch "Überprüfung der Förderungswürdigkeit".
- Drohung mit Kriminalisierung der Diskussion (z.B. betreffend 380 kV-Leitung, Abfangjäger, Antifa; aber auch Asylrecht usw.)
- Schaffung eines Konstrukts "anschlagsrelevante Themen" (z.B. Mochovce).

Defizitabbau?

Die letzten Wochen haben aber auch wieder einmal die Defizite der Linken zum Vorschein gebracht: Wieder einmal wurde deutlich ...
- daß die Orientierung auf Widerstand als theoretische Inszenierung ohne Ausrichtung auf praktische Verhinderung eines Projekts bzw. Durchsetzung einer Position (z.B. im Zusammenhang mit den rassistischen Gesetzen) nicht nur die Motivation jener zerstört, die etwas verändern wollen, sondern auch noch die Basis von Einzelaktionen a la Ebergassing ist. Das ist keine Schuldzuweisung an Peter und Gregor, denn ihr Bedürfnis, Widerstand nicht bloß zu inszenieren, ist mehr als verständlich.
- Daß die - mit Distanz betrachtet ohnehin lächerlich wirkende - selbstgegebene Aura von Avantgarde kontraproduktiv ist und nebstbei ohnehin keinerlei reale Grundlage hat (was nicht durch den Anschlag selbst, sondern durch die Reaktionen der verschiedenen linken Gruppen dokumentiert ist).
- Daß hierarchische und patriarchale Strukturen in und unter linken Gruppen der Entwicklung eines ernstzunehmenden Widerstandes gegen die "3. Republik" im Weg stehen.
- Daß Strukturen, die auf - z.B. mediale - Inszenierung eines politischen Bildes von Radikalität und Widerstand aus sind, im besonderen Maße bei ihren Angehörigen Panik verbreiten, weil keine Auseinandersetzung über reale Gefahren und adäquate Umgangsweisen stattfindet (es findet nur die Inszenierung statt, die Klischees als Verhaltensnormen transportiert anstatt anwendbarer Erfahrungen).
Wenn weiter ober geschrieben wurde, daß keine der - zumindest medial - in Erscheinung tretenden Gruppen in den letzten Wochen ihre Politik wesentlich verändert hat, kann daraus gefolgert werden, daß es eher müßig ist, sich unter extensivem Gebrauch des Wortes "Verrat" etc. dem Selbstmitleid hinzugeben.
Beibt die Frage offen, wie Menschen und Gruppen mit linkem Selbstverständnis mit der post-Ebergassing-Situation umgehen können.

Mögliche Antworten:

- Die Tatsache, daß die Debatte um Kürzungen im Bereich des Ams bzw. der Publizistikförderung augenblicklich das TATblatt in den Mittelpunkt stellt, wird nicht lange ein Problem sein, wenn es uns gelingt, die "Breitenwirkung" der Kürzungen in Zusammenhang mit den allgemeinen Budgeteinsparungen zu stellen. Ob im TATblatt (oder besser im TATblatt -TrägerInnenverein) Leute arbeiten, die aus Mitteln der Aktion 8000 unterstützt werden, ist letzlich ziemlich wurscht: daß aber gleichzeitig - sozusagen in einer ersten Tranche - weitere 200 Arbeitsplätze von Förderungen der Aktion 8000 ausgeschlossen werden sollen, zeigt eine Entwicklungsrichtung der Sozialpolitik an. Hier gibt es Möglichkeiten "themenübergreifende" Allianzen mit sehr vielen anderen Initiativen zu schließen ...
- Wichtig ist aber auch der Abbau der stelbstgeschaffenen Grenzen zu "BürgerInnen"-Initiativen. Leute, die z.B. einen Straßenbau o.ä. verhindern wollen, warten nicht auf Belehrungen. Es ist an unseren Fähigkeiten, zu hören und zu lernen, gelegen, wenn wir "themenübergreifende" Zusammenarbeit erreichen wollen.
- Weg mit patriarchalen Strukturen in unseren Zusammenhängen! Sie sind nicht nur aus scheinbar "objektiven" Gründen als "schlecht" und "böse" erkannt worden, sondern behindern uns in Form von "Heldentum", Kommandostrukturen oder Hierarchien ganz praktisch bei der Entwicklung des Widerstandes. Jede Stimme, die sich innerhalb einer Gruppe nicht Gehör verschaffen kann, ist ein Minus an Auseinandersetzung, an Hinterfragung von Grundlagen, Annahmen und Ergebnissen einer Arbeit, und vor allem ein Minus an Konstruktivität und Phantasie bei der Entwicklung und Umsetzung von Widerstandsformen. Wir können davon ausgehen, daß patriarchale Strukturen mindestens 80 % des kreativen Potentials einer Gruppe gar nicht erst aufkommen lassen.
- "Widerstand gegen Terror"! Diese "Formel" könnte im doppelten Wortsinn eine politische Richtung der Linken angeben. Denn Einerseits bezeichnet sie eine Politik, die den Unterschied zwischen den Aktionen der Linken und der Morden und Mordversuchen der Nazis herausstreicht; zum anderen könnte sie eine Orientierung im Alltag linker Gruppen sein: rassistische, faschistische und sexistische Strukturen TATSÄCHLICH und PRAKTISCH durch Aktionen zu benennen und aus der Anonymität zu holen, gleichzeitig damit ihren Spielraum bei der Organisierung des rechten Untergrunds einzuschränken (der seinen Spielraum immerhin zur Vorbereitung von Morden nutzt).

Politisches Handeln könnte (sollte, ja geradezu: müßte) vermitteln, daß
- effektive Aktionen des Widerstands relativ leicht durchführbar sind
- sie jeweils eine Aktion unter einer steigenden Zahl ähnlicher Aktionen sind
- es nicht verdeckt in klandestinen Strukturen arbeitende Helden sind, die die effektivsten Aktionen durchführen
- der Anschlag von Ebergassing, der Tod Gregors und Peters, die darauf folgende Medieninszenierung usw. das Vorhandensein/die Entwicklung von Widerstand und effektiven Widerstandstrukturen nicht verhindert ..

So gesehen ist es geradezu notwendig, daß möglichst viele fortschrittliche Gruppen in Reaktion auf Ebergassing usw.
1. hierarchische, patriarchale und paternatlistische (im Effekt: Kommando-) Strukturen auflösen , und
2. verstärkt leicht durchführbare, gut vermittelbare und zur Wiederholung anregende "low-leveled-actions" (unabhängig davon, ob sie legal sind oder nicht) zur Vermittlung fortschrittlicher Inhalte durchführen.

Es ist sinnlos, den Unterschied zwischen rechts und links einfach nur erklären zu wollen. Der Unterschied ist entweder sichtbar, oder er existiert nicht!

Ein weiterer Text zum Tod von Gregor und Peter in Ebergassing aus dem TATblatt Nr. plus 36 vom 26.5.95


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Aus der Rapidité März 1996

Werte OpernfreundInnen und verehrteste Theaterfreaks
: AN DIE GURGEL!

Ein paar Kleinigkeiten übers VolXtheater, noch kein Manifest, bloß eine kleine Provokation...

Schon mal was gehört vom VolXtheater Favoriten, vom VolXtheater überhaupt, dem radikalsten Theaterkonzept seit Erfindung der Sprache, ja des menschlichen Urlautes? Nein? Selber schuld, Sie Socken, Sie!
Gnädig und gelassen wie ein VolXtheater halt so ist, wird hier und jetzt und überhaupt mal einiges erklärt.
Zuerst einmal einige Gemeinheiten, nur so, zum Warmwerden...
Was hat denn "Theater" heute in unserer Gesellschaft für einen Stellenwert, welche Funktion erfüllt es, wozu wird es gebraucht, mißbraucht?
Elitäres, hochsubventioniertes, zu Tode kommerzialisiertes Spektakel, vom Bildungsbürgertum fürs Bildungsbürgertum, Verharmlosung, Verschleierung und hemmungslose Ästhetizierung der Realität, Kunst- "Genuß" als Deckmantel für den Verlust der allen Menschen eigenen Kreativität im alles korrumpierenden Kapitalismus.
Mensch kann sich abends, nachdem mensch den ganzen Tag prächtig und brav funktioniert hat, ein wenig "kulturellen Werten", der "anregenden Unterhaltung", der "ernsthaften Auseinandersetzung" (aber bitte nicht zuviel davon) hingeben.
"Die Weisheit mit dem Löffel gefressen" habende Regisseure bringen gemeinsam mit eitlen, sich maßlos selbstüberschätzenden Mimen die Werke toter Dichter und solcher die es werden wollen auf die Bühne, versetzen das zur Passivität verdammte Publikum in Scheinrealitäten und Kunsträume, und entführen es für ein paar Stunden aus ihrer tristen, faden Lebensrealität. Die armen Schweine (das Publikum) glauben dann tatsächlich, dem dummen Proleten, der sich´s zu Hause vor dem Fernseher gemütlich macht, eine ganze Nasenlänge voraus zu sein!
Das ganze eingebettet in klare Spielregeln - die vor der Bühne: in Abendkleidung, heute auch schon mal in einer sauberen Jean, vorher oder nachher essen gehen und so - die auf und "hinter" der Bühne: schön hierarchisch und arbeitsteilig, jedem seine Schublade samt Etikett und Zuständigkeit, als ob nicht jeder Mensch zu allem fähig wäre...

So ist Theater!!!
Scheiß doch der feuchte Hund drauf!

"VolXtheater", das ist sowas wie ein Gegenentwurf, Nicht-Theater, Kein-Theater, Nur-zum-Schein-Theater.

Theater als Schule der RevolutionärInnen!:
Menschen, die gemeinsam diese unsere Welt ergreifen, begreifen, angreifen, gemeinsam anzweifeln, verzweifeln, zerrinnen und gewinnen wollen.
Auf einander zugehen, um trotz aller Verschiedenheiten zwischen den Zweibeinern den Dingen auf den Grund zu gehen, voneinander zu lernen, und gemeinsam ein Stück weiter zu kommen.

Theater als Schule der Revolution!:
Diese Ergüsse und Erkenntnisse sodann skrupellos auf die Bühne oder in den Raum zu stellen, dem werten Publikum etwas mitzuteilen, etwas hinüberkommen zu lassen, was um die Ohren zu fetzen, um der Gefahr willen, ein paar Watschen zu kassieren, gelobt, verlacht, geliebt, verachtet, verstanden oder mißverstanden zu werden.
Dabei aber nie aus dem Auge zu verlieren: keine krampfhaft-ernsthafte Auseinandersetzung zu verlangen, sondern über den Respekt und das Wissen auf das Recht auf Genuß die Köpfe und die Herzen der Menschen zu öffnen, um das Denken zur Lust zu erheben, die Kreatur aus der Erkenntnis zum Handeln zu bringen.

VolXtheater als anarchisches, kollektives, nicht-hierarchisches Konzept, ob im Saal oder auf der Straße, Theater von Unten, aus dem Kopf, dem Bauch, dem Arsch, der Faust, aus jeder kleinen Zehe und aus voller Brust!
Nach Möglichkeit immer knapp unter der Gürtellinie, bar jeglicher Moral und dennoch voller Wut.
Skrupellos alles benützen und verwenden was brauchbar scheint, suchen, klauen, finden, mißbrauchen, voller Ehrfurcht und Blasphemie, voller List und Lust.
Politische vor menschlicher, menschliche vor politischer, und alles zusammen weit vor "künstlerischer" Qualität!
Keine Dominanz von Bildung und Intellekt, keine von Plattheit und Populismus.
Lieber Schmierenkomödie und Philosophie! Denn nichts sei uns zu hoch oder zu tief! Keine Szene auf die Bühne, die nicht behirnt, zerredet, hinuntergeschluckt und wieder ausgespuckt wurde!
Theater, das nicht jeder Idiot genießen kann, IST KEIN THEATER.
Brandstiftung gegen die Passivität, Adrenalin für unsere weichen fetten Ärsche!
Dem Theater und seinem Publikum: Hinein mit der Schnauze, mitten ins wahre Leben!
Zur Hölle mit denen, die vor lauter Rausch den Krieg verschlafen, und zur Hölle mit denen, die vor lauter Krieg verschlafen den Rausch!!!

Kunst als Waffe, Theater fürs Leben!
So soll VolXtheater sein!

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Aus dem Programmheft zu "Penthesilea" - aufgeführt vom VXTH Favoriten im März 1996

VolXtheater. Leute, die Theater machen wollen. Ein Stück über wilde Frauen. Penthesilea finden. Stotternd und staunend die ungewohnte Sprache daherstammeln. Sätze bleiben hängen. Tauchen drei Tage später in einem Gespräch wieder auf. Liebesworte. "Duft deiner süßen Lippen". Kampfesworte. "Und alles schüttelt was ihm unerträglich der Mensch von seinen Schultern sträubend ab". Hundegejaul.

Bald stellt sich heraus, daß die Penthesilea so nicht spielbar ist, nicht für uns. Denn es ist immer noch so, daß drei Stunden Schönsprechtheater ganz ohne Sound ein Genuß ist, der nur auf den höheren Schulen eingeübt wird. Von künftigen Ärzten und Bankiers. Dem Heimkind, der Friseuse fehlt meist die Zeit, die Geduld und von allem die Initiation in die mögliche Schönheit eines appollinischen Theaters. Für sie hat die Kulturindustrie die dionysischen Varianten des Theatralischen zum berauschenden Spektakel hergemästet. Rockevent. Tekknoparties. Brot und Spiele. Das Paradox für die rebellischen Theaterleut: stellen sie eine Propaganda für den Widerstand auf die Bühne, gerät die ob des üblichen Theaterpublikums sofort zum ästhetisierten Genuß für die Leserschaft liberaler Tageszeitungen. Der Bürger läßt sich gern einmal eine Revolüzzerin auf der Bühne vorführen.

Wir aber wollen Theater, Oper als Ort, wo die kämpfenden Proletarierinnen über ihre strategischen Entwürfe debattieren, wo die wilden Weiberhorden von heute (die wenigsten sind Zahnärtzinnen und Burgtheaterstammgast) sich selbst genießen dürfen in der Darstellung.

Unsere Bearbeitung versucht also das Rebellische. Aufsässige. Feministische. Trotzige. Poetische. Wütende und Widerständige an Kleists Amazonendrama zu benützen für die Ästhetik des Frauenwiderstandes. Da mußte als erstes die Königin und Hauptheldin abgeschaft werden. Aus Priesterinnen und Fürstinnen wurden Genossinnen. Die Monologe der Heldin verteilten sich an mehrere
Das Amazonenheer trifft auf die Nachahnen der Griechen: die Krieger und Politikerkasten der imperialistischen Metropolen. Technokraten. Europolizisten. Geheimdienstexperten des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sehr schnell war klar, daß diese nicht kleistisch sprechen, daß ihre Widerwärtigkeit als Aufrechterhalter dieser mörderisch ungerechten Weltordnung weder die Ästhetisierung einer poetischen Sprache noch die plump realistische Darstellung ihrer technokratischen Blödigkeit und Skrupellosigkeit verträgt. Die Szene im Innenministerium wurde ca. 14 mal neu geschrieben.

Kämpfen. Nichts leichter als das. Jedes Frauengedächtnis vermerkt Wunden zur Genüge, die die Gesellschaft als Struktur oder als Mann geschlagen hat. Eine kleine autonome Schreikur, Tanzkur holt Erinnerungen an längst verdrängte Gemeinheiten aus den Verkrampfungen und Haltungsschäden hervor. Unsre Körper und Stimmen, Nacken und Bäuche sind gezeichnet von der - glücklicherweise mißratenen - Erziehung zum braven, hübschen, gefälligen kleinen Mädchen. Ein paar Lockerungsübungen und unsre Fäuste schlagen ganz von selber zu.
Kämpfen. Schnelle Schuhe. Hosen oder Röcke, die keinen KungFuTritt behindern. Klettern, rennen. Kampfesschreie: Nie wieder!
Nie wieder sich selbst zubereitet als Leckerspeise dem Auge Munde Schwanze eines Mannes.
Erst fressen dann gefressen werden!
Nie wieder geduldet, erlitten, sich vielleicht gar noch geschämt für den sexuellen Übergriff eines Mannes. Nie wieder das Geschlecht einem Gynäkologen entgegengereckt!
Wir lassen uns in den Spitälern nur noch von Frauen behandeln!
Nieder mit der Dominanz der männlichen Wissenschaft über den weiblichen Leib!
Nie wieder von einem präpotenten Weißkittel hören: "Nehmen Sie Hormone, Gnä Frau, da bleibt die Brust straff", ohne daß der Typ ein Frauenknie im Unterleib hätte.
Für jedes unterwürfige "Danke Herr Doktor" in den Frauenarztserien verdienen die Drehbuchautoren, Regisseure und SchauspielerInnen sieben Stockhiebe in die Karrieristenfressen. Wahrscheinlich wären wir gnädig, begnügten uns damit, die Herren Klos putzen zu lasse. Leider stellt sich die Frage so noch nicht.

Kämpfen als Frauen. Gar nicht so einfach. Zum ersten. Wer ist eine Frau?
Schießen wir uns nicht ein entscheidendes Eigentor, wenn wir zur Bekämpfung des Patriarchats uns erst einmal als Frauen definieren, identifizieren, also festschreiben?
Unserer Theatergruppe stellte sich diese Frage ganz vehement, in der Gestalt eines Schauspielers, der eine Amazone spielen wollte. Er gab sich redlich Mühe. Doch 20 Jahre Männerleben verschwinden nicht in vier Wochen Proben aus den Gelenken. Manche Frauen fühlten sich auf während der Frauenproben durch die Anwesenheit des Mannes gestört.

Manches sagt sich nicht so leicht vor Männerohren und seien es auch nur zwei und die eines Mannes, der im patriarchalen Sinne des Wortes keiner mehr sein will. Andererseits stellt sich dann natürlich die Frage: Und wenn er sich umoperieren ließe? Dürfte er/sie dann Teil der Frauengruppe werden? Heikle Frage. Wir sind doch keine Biologistinnen, die nach Chromosomen urteilen. In der Theatergruppe wiederholten sich also Prozesse, die auch für die Geschichte der europäischen Frauenbewegung charakteristisch sind: Der Ausschluß der Männer. Die anschließende Frage nach der weiblichen Identität.

Die Ablehnung von Identitäten, insbesondere sogenannten weiblichen. Die Vorstellung einer Welt mit beliebig vielen Geschlechtervariationen. Die Frage, was denn, wenns die Biologie nicht ist, uns zu Weibern macht. Die Irrwege und Verdummungen.

Heftige Diskussionen. Zeigen wir Amazonen wie sie sein sollten? Solche, die den gemeinsamen Kampf über ihre Egotrips stellen. Solche, die einander ruhig zuhören, sich ausreden lassen, immer Rücksicht nehmen auf die Schwächste in ihren Reihen. Oder dürfen die Kleistschen Konflikte, die Liebe zu einem Mann, der Wahnsinn, der Größenwahn, die fanatische Kriegsleidenschaft unsre Amazonen durcheinanderbringen?

Heftige Diskussionen. Müssen nicht die mutigen Widerstandskämpferinnen in den männerdominierten Befreiungsbewegungen doppelt kämpfen? Gegen die Armeen. Und gegen die patriarchalen Strukturen in der eigenen Organisation. Wurde ihnen nicht oft genug der Kampf gegen organisationsinterne patriarchale Strukturen untersagt mit Hinweis auf die nötige Einheit gegen den Klassenfeind?
Der Geschlechterkrieg ein Nebenwiderspruch? Warum zum Teufel gibts so verdammt wenige Amazonenheere auf der Welt?

Männer. Wesen, die allein in diesem Jahrhundert in Europa über xxxx Menschen umgebracht haben. Aus Spaß. Aus Gehorsam. Aus Kapitalinteresse. Aus Ressentiment und Überheblichkeit. Um dem Soldatenweibe zu gefallen. Um die Frauen der "Feinde" zu vergewaltigen. Weils die anderen Männer auch machen.

Xxx Menschen, die von Frauen geboren wurden sind Männer. Diese gleichen Männer (ihre Söhne) nun machen sich selber als Menschen-Machen. In den Laboratorien der KZ´s geschult (ja das war ein Material! Eierstöcke en masse!) und noch immer auf der Suche nach den Renitenz- und Zigeuner- und Lesbengenen schnipseln die Genetiker in der Software des Lebens herum.
Frankenstein war ein Stoffteddybär gegen das, was daraus erwachsen wird. (Das AIDSvirus z.B. könnte so ein erster Sieg der männlichen Wissenschaft über die Mutter Natur gewesen sein...)

Kämpfende Frauen in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts können sich unmöglich darauf beschränken, den Geliebten sich im blutigen Feld der Schlacht zu suchen. Die Umkehrung eines traditionellen Gewaltverhältnisses beim Liebeswerben macht zwar Spaß, ist aber zuwenig in einer Zeit wo die aufgeklärten Nachfahren Achills und Odyss gerade dabei sind im Kaukasus, dem fruchtumblühmten und auch sonst auf der Welt die letzten Reste nicht durchkapitalisierter Gesellschaften sich gnadenlos zu unterwerfen, und dabei Millionen Verhungerte, Unterernährte, Zwangssterilisierte, an heilbaren Krankheiten Gestorbene, ökologische Katastrophen ungeahnten Ausmaßes einkalkulieren.
Kämpferische Frauen - wunderbar. Doch welche, die nicht als Propagandistinnen für "Frauen ins Bundesheer" mißverstanden werden können, welche, die als Genossinnen der kämpfenden Frauen in den ausgeplünderten Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas kämpfen. Als nomadische Kriegsmaschinen gegen die Institutionen des Staates. Als Alltagskriegerinnen, wie sie sich in den Armutsvierteln der südlichen Großstädte zur Organisierung des täglichen Überlebens und zum politischen Kampf zusammentun.

Heftige Diskussionen.
Improvisationen übers Zusammentreffen der kleistisch daherschwärmenden Amazonen mit der Reality 1996. Das wenigste davon wird Teil des Stückes. Wir machen aus bißerl Kleist plus Frauenkämpfe eine etwas oberflächliche Operette mit fetzigem Sound. Wir spielen Hunde, Löwen, Elefanten. Wir erfinden einen guten Achill.

Wir streiten uns nächtelang über die Szenen im Gefängnis. Dürfen wir eine Amazone zeigen, die sich auf eine Diskussion mitm Schließer einläßt? Die Figur ist nicht so sehr der Schließer, als vielmehr Inbegriff des Patriarchats, das Gefängnisse baut. Überall Mauern, Zäune, Barrieren errichtet, daß die Leute ganz wahnsinnig werden und dann muß man sie einsperren.

Das ist doch Theater nicht die Wirklichkeit. Wir spielen doch nur. Spielen wir doch mal, die Welt wäre anders als sie ist. Spielen wir, frau könnte mitm Geheimpolitisten, Schließern, Technokraten reden. Aber da vermitteln wir ja eine ganz falsche Vorstellung von der Welt.


Unsere Ebene entfernen sich meilenweit voneinander. So wird das Stück sehr weit. Weiter als von meinen surrealistischen Phantasien bis zu deinem aufklärerisch-propagandistischen "Kämpft Frauen, kämpft! Und zwar so:...!"-Anspruch.