PARANOIA!-fanzine # 94
1. EMS waren ja schon tot gesagt, auch von Euch selbst. Wieso? Und warum geht`s jetzt doch weiter? Warum habt Ihr nicht die Chance genutzt und Euch `n neuen Namen gesucht?
Also erstens mal besten Dank, dass du dieses Interview mit uns machst, ist immerhin erst das Dritte seit unserer Existenz, und das letzte ist schon ewig her, na, das freut aber! Weiters muß ich sagen, dass ich allein (Alfred) dieses Interview da beantworte und da du das ja morgen schon wieder haben willst kann ich jetzt nur schwer die ganze Band mit einbeziehen. Also: das sind meine Antworten, nicht die von E.M.S., ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie halbwegs konsenfähig sein werden. Trotzdem werd' ich eher die Ich-Form verwenden.
O.k., also die Band von uns verbliebenen 4 war nicht totgesagt (Bernhard, der Bassist/Sänger, der ja seit Anbeginn 1993 dabei war, ist Anfang Juli ausgestiegen), es war klar, dass wir weiterhin gemeinsam Musik machen werden und auch die E.M.S.-Stücke spielen werden. Du musst dir aber vorstellen, dass wir seit 8 Jahren (!!) in haargenau der gleichen Besetzung (!!!) gemeinsam spielen, und die Band wurde nicht nur aus irgendwelchen Leuten zusammengesucht, weil halt wer eine Band gründen wollte, sonder es war von Anbeginn an eine intensive Freundschaft von 4 Teenagern, die so ziemlich alles gemeinsam gemacht haben. Du kannst dir vorstellen wie viele Erinnerung eines extrem wichtigen Lebensabschnittes wir mit dieser Gemeinschaft verbinden. Obwohl sich der Ausstieg vom Bernhard abgezeichnet hat und auf früher oder später passieren hat müssen, war es dann - als es dann definitiv so weit war - trotzdem wie mit einem Vorschlaghammer am Kopf. Wenn eine Person aus einer derart langen, intensiven Gemeinschaft fehlt, dann kann das nicht mehr das selbe sein, klar, oder?! Aufs Spielen wollten wir aber auf gar keinen Fall verzichten - es ist zu wichtig für uns (wir haben sogar einen Gig ohne Bass gespielt)! Inzwischen haben wir einen neuen Bassisten gefunden, er heißt Daniel und er ist gerade dabei, sich einzuleben. Zumindest oberflächlich kennen wir ihn eh schon länger. Ich kann mir gut vorstellen, dass das mit ihm funktionieren wird, er ist nett, offen, intelligent und hat Geschmack. Tja, wegen Namensänderung: Ich wär eigentlich eher dafür gewesen, aber dann haben wir einfach nie ernsthaft darüber diskutiert, weil wir mit all den anderen Dingen zu überladen waren. Na ja, jetzt kommt die neue Platte (die noch der Bernhard mit eingespielt hat) mit dem Namen "E.M.S." drauf, im Oktober ist Tour, na ja, wir belassen es einfach mal so
2. Wie seid Ihr überhaupt in Eurer ländlichen Idylle darauf gekommen, eine Punkband zu starten? Was waren da die Einflüsse und wie seid Ihr an Sachen ran gekommen?
Ahhh, eine geile Frage. Also, der Bernhard und ich haben vorher in einer Trash/Death-Metal-Band gespielt, beide lange Zotteln, alles drum und dran und so... ich war 15, er 17. Nebenbei haben uns aber schon auch Bands gefallen wie z.B. BAD RELIGION, FAITH NO MORE, NEW MODEL ARMY, THERAPY, D.O.A., NIRVANA, ANTiSEEN, SISTERS OF MERCY, DEAD KENNEDYS, (also, abegesehen von ANTISEEN & D.O.A. Bands, an die man am Land und mit Freunden, die MTV haben auch rankommt). Mit den anderen Trash-Metallern haben wir uns dann total zerkracht und die Band wurde aufgelöst. Zum Teil aus jugendlicher Trotzreaktion haben wir dann angefangen, dieses "Metal-Proleten-Zeug" ziemlich zu verachten. Wir sind dann halt bisschen diese "Alternative"-Schiene von anno dazumal gefahren, SONIC YOUTH, etc.... Kann sich noch jemand an PAUL KING's "120 Minutes" auf MTV erinnern?? Diese Sendung hat dann VANESSA WARWICK's "Headbanger's Ball" für uns abgelöst, haha!! Das "WHY NOT" war auch eine ganz wichtige Sache für uns damals, da sind wir ein paar Mal im Jahr vom Land aus hingepilgert, das war aber echt ein super Geschäft, schade, das es das (schon lange) nicht mehr gibt. Na ja, jedenfalls wollten der Bernhard und ich eine neue Band gründen, klar. Den Früden haben wir dann per Vermittlung kennengelernt, er fing gerade an Schlagzeug zu lernen und stand auf GUNS'N'ROSES, SEXPISTOLS, NIRVANA und interessanterweise NOMEANSNO. Den Idi kannte ich von der Musikschule und er war und ist nach wie vor in erster Linie ganz einfach mal ROCKMUSIK-begeistert, wahrscheinlich darum ist er auch der einzige von uns, der so richtig gut (Gitarre) spielen kann, haha.
So, das war ja jetzt eigentlich erst die Vorgeschichte, mit Punk geht's ja erst jetzt los: im Sommer 1993 waren der Bernhard und ich am "Seewiesenfest", einem Open-Air-Festival in unserer Gegend. Ich war übrigens 16 Jahre alt. Dort spielten THOSE WHO SURVIVED THE PLAGUE aus Wien. Die Band begeisterte uns total, ich kaufte die 7", bestellte das Tape bei TROST - und zurück kam ein fetter Mailorderkatalog von SACRO EGOISMO. So gesehen behaupte ich mal, das SACRO EGOISMO und dem Tibi seine Katalogbeschreibungen einer unserer größten Einflüsse war. Und von dort (und nach wie vor dem "WHY NOT") besorgten wir uns unseren "Stoff". Unsere Punkroots, mit deren Hintergrund sich ab Sommer 1993 auch "E.M.S." entwickelt hat, sind BAD RELIGION, BOXHAMSTERS, JELLO BIAFRA (vor allem DEAD KENNEDYS), FUGAZI, NOMEANSNO, RAMONES, KURORT, GRAUE ZELLEN, THOSE WHO SURVIVED THE PLAGUE, TOY DOLLS, NOMEANSNO, MINISTRY, D.O.A., ANTiSEEN, aber auch Bands wie NIRVANA, NEW MODEL ARMY, THERAPY und so gefielen uns noch sehr gut.
Tja, und mit der Zeit haben wir auch immer mehr mitgecheckt, was da für ein Weltbild, Lebenseinstellung und Arbeitsweise dahintersteckt. Wobei: langzottelige Revoluzzer mit Totenkopf-T-Shirts waren wir ja eh zu unserer Metal-Phase schon, und böse Zungen behaupten ja, dass das "Anarchie-A" im Punk das gleich wie das umgedrehte Kreuz im Metal ist. Jedenfalls wurden gesellschaftskritische Texte, Anarchismus, d.i.y.-Szene, etc. interessante und immer wichtigere Dinge für uns. Wir fuhren auch immer öfter nach Wien ins "E.K.H.", "Arena", "WUK" oder "TU-Club" zu Konzerten. Spätestens als ich 1997 fix nach Wien gezogen bin, waren die Weichen endgültig gestellt.
Bands, die im Lauf der Zeit noch so ihre musikalischen Spuren bei E.M.S. hinterlassen haben waren dann z.B. QUETZAL, REFUSED, BUT ALIVE, HIS HERO IS GONE, HELLNATION, LEBENSREFORM, BOTCH, SICK OF IT ALL, FAITH NO MORE, CATHARSIS, FUN PEOPLE, etc... SLAYER & SEPULTURA natürlich nicht zu vergessen, ha!
3. Musikalisch macht Ihr immer wieder deutliche Veränderungen durch. Früher eher melodischer Punk/HC mit dem großen Vorbild Bad Religion, später ein bißchen emo-lastiger aggressiver HC, bei dem teilweise gar nicht genug geschrien werden konnte. Dazwischen auch wieder deutsch-punkige Stücke. Bei den neuen Sachen sollen auch extrem lange und ruhige Lieder dabei sein. Habt Ihr keinen eigenen Stil? Oder fällt das unter den Begriff "Entwicklung"??
Hmm, du hast mit deiner Beschreibung definitiv recht. Was wir schon alles an völlig verschiedenen Stücken und Stilelementen produziert haben, ist glaub' ich ziemlich einzigartig. Das liegt glaub' ich daran, dass wir uns nie von einer bestimmten Niesche fangen haben lassen, was weiß ich, old school, youth-crew, sXe, new school, crust, 77er, brit-punk, noise, emo, metal, melodic, skate, ska, etc... Wir leben/lebten am Land, zumindest in unserer Gegend gibt es genau null Menschen, die auch nur annähernd eine Ahnung von dem haben, was wir machen, was uns gefällt, bewegt, etc... - somit auch keine Cliquen, in denen sich ein bestimmter Stil intensiviert, den man dann vielleicht aus Gruppenzugehörigkeitsgefühl auch verstärkt übernimmt, meist ein bestimmtes Outfit (Mode) mit einhergehend. Aus der Distanz von Wien ein SACRO EGOISMO-Katalog zugeschickt, der uns mit Musik, die uns begeistert (und eben musikalisch auch sehr breitgefächert ist) versorgt, aus. Inzwischen in eine ich umreiße es mal mit dem Begriff "d.i.y.-hardcore"-Szene integriert, sind uns die wasweißderteufelwasfür-"schools" sowieso so was von scheißegal, wem interessiert das, das ist was für Beschränkte!?! Wir machen ganz einfach das, was aus uns rauskommt, lassen unserer Begeisterung, unseren Gefühlen, unserer musikalischen Kreativität völlig freien Lauf und that's it. Natürlich wird man zu den verschieden Phasen ungefähr hören, was uns gerade mehr oder weniger gefällt. Inzwischen umreißt unser Projekt E.M.S. schon so viele Phasen inklusive diverser "Revivals", dass ich doch denke, dass wir einen gewissen - uns eigenen - "Grundmood" haben. Und es stimmt: die meisten der letzten Stücke sind sehr lange (5 Minuten-Bereich) und anscheinend sind wir gerade dabei eher langsam zu werden. Die Musik ist halt auch immer mehr und mehr drogengeschwängert. Und dass wir uns ständig entwickeln hoffe ich ja doch, Zufriedenheit und Stillstand sind die Feinde der Revolution.
4. Ihr veröffentlicht Eure Platten ja in klassischer DIY Manier, gemeinsam mit x kleinen Labels und zudem als Split-Releases. Warum ist das für Euch so wichtig? Was sind die positiven und was die negativen Effekte dieser "Bandpolitik"?
Hmm, also wir sind ja in der d.i.y.-anarcho-punk Szene ziemlich stark "sozialisiert" worden. Somit war's für uns im Prinzip was ganz "Natürliches", so an die Sache heranzugehen. Freunde, die irgendwie aktiv sind oder sein wollen, sympathische Leute, die z.B. ein Label machen und an die wir herangetreten sind, nette Leute, die wir motiviert haben, andere Bands, die wir kennengelernt haben und mit denen wir gern was machen wollten, ein Faible für Vinyl, etc... - hat sich alles immer von selber so ergeben und wir haben da eigentlich nie einen anderen Zugang gesucht. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals Zeug von uns an Labels geschickt hätten, wär' uns irgendwie gar nicht eingefallen. Wie bereits erwähnt waren für uns auch nie irgendwelche Szene-Schubladen von Bedeutung, was ja vielleicht einen Zugang verschaffen würde à la "uhhh, das da ist cool, die da sind obercool, bei denen müssen wir unterkommen, lass' uns in die Richtung was machen und schleimen" oder so. Und das ist ja irgendwie schon wieder dieser kapitalistische Zugang mit der Hauptperspektive "Erfolg & Anerkennung" (im jeweiligen Sub-Universum halt). In den Anfangsjahren haben wir ein paar mal bisschen bei Sacro Egoismo geschleimt, da hatten wir so das Bild von den "Obercoolen" vor uns, wo wir gerne irgendwie dabei sein wollten. Also: Wir wollen ganz einfach wir sein, machen was wir wollen und was eben so aus uns rauskommt. Und eben darum haben sich die Dinge, die wir gemacht haben immer eher auf freundschaftlicher Ebene ergeben. Unter Leuten, wo die menschliche Komponente das ist, was zählt, fühlen wir uns wohl. Da ist man natürlich und locker im Umgang miteinander, irgendwelche Erfolgs- und Coolheitspegel haben da nichts verloren, und das ist ganz einfach SCHÖN. Und natürlich hat das stark was mit einem anti-kapitalistischen Zugang zu tun. Denn unter Leuten, wo all diese scheiß Dinge, die ich erwähnt habe, (tlw. unbewusst) von Bedeutung sind, kann man so nichts gemeinsam machen oder man merkt halt früher oder später dass deren d.i.y.-Attitüde ein Fake ist. Das sind aber eh meist die, die dann bald wieder aufgeben und doch Handelswissenschaften studieren oder so. Die Leute, mit denen wir Sachen gemacht haben, waren auch nie die, die uns mal großartig ihr anarchistisches, anti-kapitalistisches, anti-sexistisches, anti-faschistisches, anti-rassistisches, anti-leckmichamarsch Weltbild erklärt haben. Das waren immer in erster Linie mal lässige MENSCHEN, für die dieser Background sowieso klar ist und wo man sich nichts mehr großartig gegenseitig erklären muß sondern statt dessen einen trinken geht. Ich denke, das spürt man einfach, wenn die Chemie stimmt. Natürlich diskutieren wir auch viel über Lebenseinstellung, Politik, Anarchismus, etc. - aber auch hier meist mit einem stark persönlichen Zugang. Das ist d.i.y. für mich: "IT's THE PEOPLE, NOT THE MONEY". Weil d.i.y. ist der Firmenchef xy auch. Es ist uns aber ein starkes Anliegen, bei unseren "Outputs" (Texte, Konzerte, Platten) diese Politik zu transportieren, mit klaren Worten und unelitär. Es gibt glaub' ich manche, die uns als penetrant politisch empfinden (d.i.y., Anit-Kapitalismus, Anarchismus). Wie auch immer...
Das negative an der ganzen Sache ist, dass alles ewig länger dauert, als man sich das vorstellt und das vieles immer sehr chaotisch und mühsam ist, aber das ist es wert! Und das ist meist ja auch kein Problem unter Leuten, die locker drauf sind (so wie wir, haha).
5. Glaubt Ihr, das die DIY Idee eine relevante politische Komponente hat oder geht`s nur darum, Platten zu veröffentlichen, die sonst kein Mensch rausbringen will?
Natürlich hat es damit zu tun, Platten zu veröffentlichen, die sonst kein Mensch rausbringen will. Was denkst denn du?! D.I.Y. an sich ist keine relevante politische Komponente für mich. Ich glaub', ich fang' an, mich zu wiederholen. Wie gesagt, d.i.y. ist der Firmenchef xy auch! In Verbindung mit ehrlichen und glaubhaften Anti-Kapitalismus hat es eine relevante politische Komponente für mich. Früher dachte ich immer, dass das automatisch Dinge sind, die miteinander in Verbindung stehen. Dem ist aber nicht so. In "unserem Sub-Universum" bin ich immer wieder mit Coolheits-, Wichtigkeits-, Erfolgs- und Anerkennungswahn konfrontiert, und das turnt total ab. Aber was erzähl ich dir das, das weißt du genauso gut wie ich. Wenn ich da massig meine Zeit und Energie unentgeltlich investiere, dann will ich, dass mir das 100% entspricht und taugt. Wenn dem nicht so ist - auch wenn es sich dabei um "Partner" handelt, die sich "d.i.y." ganz fett auf die Stirn heften - dann will ich wenigstens ordentlich Kohle dafür! Aber ich bin auch ein sehr selbstkritischer Mensch, und im Laufe der Jahre hab' ich mein Denken und Einstellung auch immer wieder stark reflektiert. Und diesen Erfolgs- und Anerkennungswahn, von dem ich vorher gesprochen habe, hab' ich auch immer wieder bei mir selber entdeckt (und entdecke ich immer wieder - leider). Aber wenn ich mir dieses Gedankenkonstrukt anschaue, in dem wir uns da bewegen, da sind das eindeutig Dinge, die in die feindliche Welt gehören, die kapitalistische Welt. Und zumindest diesen Aspekt meines Lebens (Musik, Label, Konzerte-machen,...) möchte ich da ausgliedern, ansonsten entkommt man dieser beschissenen kapitalistischen Welt eh nur sehr schwer. Oder will mich da draußen wer für meine Band-/Label-/etc.-Aktivität fett bezahlen, hä? Da könnten wir schon darüber reden, haha - vielleicht. Wie gesagt, es sind die Menschen, die zählen. Aber: DAS ALLEINE genügt auch nicht, siehe diese ganzen coolen hc-Crews, die sind ja auch super-tolle Freunde, die halt Dinge miteinander machen. Wenn ich mit so Szene-Hengsten small-talk führe, hab' ich oft das Gefühl, ich spreche gerade mit schleimigen Firmenmanagern. Ich möchte auf alle Fälle diesen politischen Background haben und in den Outputs diese Lebenseinstellung transportieren. Und ich will mit den Leuten saufen gehen können, haha.
6. Was ist für Euch die Punk/HC-"Szene". Hat dieses Wort für Euch überhaupt eine Relevanz? Wie hat sich Eure Einstellung dazu im Laufe der Zeit verändert?
Phhuu, Szene-Talk, anstrengend! Mia san mia, keine Ahnung!
Na, o.k., sag' ich was dazu (es reizt ja doch immer wieder): Also früher, als wir noch alle in Waidhofen gewohnt haben, war diese sogenannte Szene (die ja auf gar keine Fall EINE Szene ist) schon was recht reizvolles für uns, und über so "Szene-Gigs" haben wir uns auch total gefreut (gab's ja damals noch nicht so viel, zumindest nicht für eine in Waidhofen beheimatete Teenager-Punk-Band). Wie ich dann nach Wien gekommen bin, hab' ich diese Szene dann endgültig für mich und die Band ausgelotet und hab' mich da auch gleich verstärkt reingeschmissen. Schon eine Bewegung, wo ich viel drüber nachgedacht habe und was mich/uns zum Teil schon recht beschäftigt hat - und immer bisschen so à la "das ist die coole Welt, wo wir dabei sind / sein wollen". Ich schätz, ich war auch lang genug auf wichtig unterwegs. Aber mit der Zeit wird man halt abgeklärter. Und Gespräche, die darauf hinauslaufen, wer mehr Bands und Szenegrößen kennt, begannen halt schon bald zu nerven (siehe oben). Inzwischen hab' ich schon meinen Weg rausgefunden, die Dinge, die mir halt taugen. Und nachdem ich ja nicht allein auf weiter Flur bin, schätz' ich mal, das es sich somit um ein Subuniversum des Subuniversums handelt. - Und es beherrscht eigentlich nach wie vor stark mein Denken, wenn auch nicht mehr so sehr. Und ich denke, dass bezüglich "unserer Szene" auch halbwegs Bandkonsens besteht, je nachdem wie wichtig diese Dinge den einzelnen Bandmitgliedern sind. Sollte ich das, wo ich mich "daheim" fühle mit einen Kulturbegriff umreißen, dann würde ich es ANARCHO-PUNK-Szene nennen, was ja eigentlich Gegenkultur sein soll. Obwohl, nein, ich weiß nicht, überall gibt's Scheiße und auch wieder wunderschöne Aspekte. Aber schön langsam entwickelt sich jugendliche Verwirrtheit zu einem gewissen Lebensweg, worüber man nicht mehr besonders viel sprechen braucht. Aber wer weiß, ich mein, wir sind zwischen 21 und 27 Jahren alt, wer weiß was noch kommt ("wiast scho sehn wos kummt" - KURORT). Jedenfalls taugt uns dieses d.i.y.-Netzwerk an Squats, Infoläden, Anarcho-Bands & -Labels und überhaupt netten, unverkrampften Menschen und da wollen wir auch mitbasteln, klar! Und super Musik ist sowieso das Leiwandste wo gibt!
7. Nicht zuletzt durch die Split-LP mit Nula aus Sibenik habt Ihr ja ganz gute Kontakte nach Kroatien und habt auch schon einige Male dort gespielt. Was für Eindrücke habt Ihr dort gesammelt?
NUR GUTE! Balkan rocks total!!! Wobei wir uns ja sicherlich auch wieder in Sub-Sub-Universum bewegen, also so betrachtet ist das ja alles relativ. Die Leute, die wir kennenlernen durften und mit denen wir gemeinsam was gemacht haben sind äußerst nett und vor allem unverkrampft. Und jedes Mal wenn wir da runter fahren, hüpfen unsere Herzlein höher! Da haben wir einfach das Gefühl, dass die Leute mehr den Menschen in den Vordergrund stellen und dass es in erster Linie ganz einfach mal ums LEBEN geht (im Vergleich zu Erfahrungen in Österreich z.B.). Aber warum das so ist oder warum wir das so empfinden, will ich nicht zu erklären versuchen, kommt wahrscheinlich Schwachsinn raus. Cheers to the MONTE PARADISO-Crew, Marva, Vedran & HUMANITA NOVA & NULA!! Wir kommen wieder, stellt bitte Bier und Drogas bereit, unter netten und intelligenten Menschen macht Feiern & Rock'n'Roll einfach mehr Spaß! Aber wir haben natürlich auch schon an genügend anderen Orten sehr gute Erfahrungen gemacht, nur damit da kein falscher Eindruck entsteht!!
Wenn du unter gesammelten Eindrücke jetzt Gesellschafts- und Polit-Analysen erwartest, hmm, natürlich könnten wir auch auf so einer Ebene diskutieren, aber das lass' ich für dieses Interview da jetzt besser sein, da können wir so drüber reden, o.k.! Da trau' ich mich nicht drüber...
8. Es gibt Hinweise, das Du Platten in Deiner Sammlung hast, die Deiner Punk-Credibility schaden! Was für Sachen sind das?
SCHEISS AUF PUNK-ROCK: LEONARD COHEN, PORTISHEAD, TRICKY, NEW MODEL ARMY, italienische SPLATTER-Film-Soundtracks, Matthäus-Passion, MANU CHAU, TINDERSTICKS, SONIC YOUTH, etc.etc....... Die "KILLER"-LP von ALICE COOPER war, ist und wird auf ewig eine meiner wichtigsten Platten sein. Metal, eh klar.
9. Was waren die besten und was die schlimmsten Erlebnisse bei Euren Konzerten?
Voriges Frühjahr in Koprevnica/Kroatien war geil. Wir sind so gegen 10 Uhr abends zum Konzert gekommen, voll die Hölle los, ca. 400 Menschen. Wir haben dann mal unser Zeug in die Backstage gekarrt und dann ist's schon bald losgegangen. Dieses Festl dort ist bevor wir gespielt haben in Chaos, Massenschlägerei, Blut und Geschreie ausgeartet und wir sind halt ziemlich verschreckt in der Backstage geblieben, ziemlich ungut, vor allem wenn man kein Wort versteht von dem, was da so herumgeschrien wird. Die Polizei hat das ganze dann beendet und so nebenbei noch Drogen gefunden. Na ja, das war's. Den Veranstalter haben wir uns nichts mehr zu fragen getraut, der war fix und fertig. Dann haben wir versucht, unsere Freunde von FAKOFBOLAN anzurufen, niemand hebt ab, plötzlich fahren sie mit ihrem Bus direkt hinter uns an der Telefonzelle vorbei, passt. Zurück zum Fest, Polizei, Diskussionen,... Dann haben uns die Fakofbolan plötzlich erklärt, dass sie und wir jetzt sofort die Stadt verlassen müssten, Befehl der Polizei! What the fuck? Was haben wir mit der Scheiße hier zu tun? Und dann ist doch tatsächlich ein Polizeiwagen mit Blaulicht vorrausgefahren, wir und Fakofbolan hinterher, ein Bus mit irgendwelchen Leuten aus Zagreb war auch noch dabei. War ziemlich strange, unsere Stimmungen waren unterschiedlich. Na ja, aber jetzt wird's erst so richtig strange: Denn diese fucking Polizeieskorte hat nicht aufgehört zu eskortieren, die Typen sind immer mehr geworden, wir sind von Ortschaft zu Ortschaft getuckert, vor uns 2 Polizeiwagen mit Blaulicht, hinter uns zwei Polizeiwagen mit Blaulicht, bei den nächsten Polizeibezirken wurden Ablösen gemacht, immer ganz langsam, die Vorderen auch meist auf der Mittellinie, damit wir ja nicht flüchten können. Das war echt der totale Wahnsinn, wir hätten nicht gedacht, dass wir da jemals wieder rauskommen. Die Passanten in den Ortschaften, die das zu dieser Stunde noch beobachtet haben, haben sicher dafür gesorgt, dass wir Gesprächs- und Spekulationsthema für die nächste Woche waren. Die haben uns sicher mindestens für gemeingefährliche Totschläger gehalten. Na, das ganze ist echt abgelaufen wie ein schlechter Film. Wir wären auch einmal stehengeblieben, um mit den Bullen zu sprechen, aber die haben einfach nichts gesagt und irgendwas herumgemault. Wir haben uns schon in einer Gefängniszelle verrotten sehen oder wasweißderteufelwas. Kurz vor Zagreb, als die Polizei mit uns Richtung Süden (Pula) abbiegen wollte, sind wir dann wieder stehengeblieben und die Fakofbolan-Leute haben der Polizei (inzwischen war's wieder nur mehr ein Polizeiblaulichtwagen) dann erklärt, dass wir harmlose Punk-Rocker sind, die jetzt nach Zagreb pennen fahren wollen. Und guess what?? Die Sache war somit erledigt, der Bulle hat gelacht und gemeint, daß überall weitergegeben wurde, daß wir gefährliche Fußballhooligans aus Pula/Zagreb/Österreich seien, die das Konzert in Koprevnica aufgemischt hätten. Und das nach fast 2 Stunden Polizeieskorte. Tja, Sachen gibt's. Zu unserer Begeisterung waren bei den Leuten aus Zagreb der Vedran dabei, den wir ja ganz gut kennen (spielt bei NULA Schlagzeug, wir haben da ja die split-LP mit denen gemacht). Somit besorgten wir Bier und Gras und chillten noch gemütlich bei ihm in der Wohnung aus. Also, das ist sicher einer unserer eindrucksvollsten Konzertberichte, obwohl wir gar nicht gespielt haben, haha.
Vorigen Sommer MONTE-PARADISO-Festival war auch nicht schlecht, wo paar Leute von uns auf dem Weg zum Bus, um eine Box zu besorgen in eine Massenschlägerei inklusive Messern geraten sind. Ist aber klimpflich ausgegangen und Monte Paradiso an sich ist ja sowieso das großgenialste Punkerfestival wo gibt.
In Berlin im "LSD" das war auch so eine ganz eigene Sache. Bei dem Squat hatte ich das Gefühl, dass es da nicht mehr um sehr viel mehr als ums Überleben geht. Die haben uns am Nachmittag auch relativ phlegmatisch aufgenommen: "Was? Schon wieder ein Konzert? Jeden Tag diese scheiß Krawall-Bands!" oder so ähnlich. Aus 2 Proberäumen haben wir uns dann alles Zeug zusammensuchen und selber eine Anlage bauen können. Ich hab' da dann echt die Nerven weggeschmissen, aber der Bernhard, der ja technisch am begabtesten von uns ist hat Ruhe bewahrt und eine fette Anlage aus irgendwelchen Zeugs da zusammengesteckt. Als wir angefangen haben zu spielen, war nicht wirklich jemand da. Aber siehe da, plötzlich sind echt ganz schön Leute gekommen und wir haben fett gerockt und es war dann echt super. Und Bier haben sie uns dann auch Ende nie gegeben. Hey, aber was red' ich denn da überhaupt, Marco, du warst ja dabei! Kannst du dich noch erinnern, wie wir dann um halb 3 Uhr morgens die Anlage wieder eingeschaltet haben, unsere männlichen Oberkörper entblößt haben und angefangen haben irgendwelche Scheiße in die Mikros zu gröhlen - völlig besoffen versteht sich!?! Die Berliner Junkies haben uns sicherlich für die ärgsten Bauern gehalten. Ah ja, dann hast du ja noch auf äußerst niveauvolle Art und Weise eine Schlägerei angezettelt, haha, jetzt wird alles geoffenbart! Natürlich hast du verloren, haha. Und um 6 Uhr morgen sind wir dann draufgekommen, dass wir nicht wissen, wo wir eigentlich schlafen können und dass alles versperrt ist, haha. Na gott-sei-dank haben wir noch einen LSD-Freak bei uns gehabt, der uns in sein Reich gelassen hat.
Unser letzter Auftritt war auch eine recht heftige Sache. Wir haben da in Kärnten auf einer Wiese gespielt. Als wir anfangen sollten war's schon ziemlich stressig, weil halt Zeitdruck, wie so oft. Blöderweise hat dann dem Idi sein Gitarrenteil nach nichts geklungen, da hat's ständig gekracht und ausgesetzt und so, echt beschissen. Hinzuzufügen wäre, dass der Idi völlig besoffen war, so in Richtung 3 Promille. Und er hat dann halt immer irgendwas umzustecken versucht, vielleicht ist's dieses Kabel, vielleicht jenes, Gitarre runter, Gitarre rauf. Jedesmal hinunterbeugen ist im das Blut in seinen besoffenen Schädel geschossen und er ist so was von herumgestolpert, dass es ein Wahnsinn war. Das Krachen hat nicht aufgehört, irgendwann hat er wütend die Gitarre auf den Boden geknallt. Und guess what? Der Daniel macht einen Schritt zurück, steigt auf den Gitarrenhals und - "kkrrkk"! Der Idi hat dann mit der angeknacksten Gitarre und mit krachenden Verstärker angefangen zu spielen. Nach einem Lied hat er die Gitarre wieder wütend auf den Boden geschmissen, dass sie endgültig auseinandergebrochen ist und hat eine neue Box angefordert. Die ist dann gekommen. Er hat meine Ersatzgitarre genommen. Aber das Krachen und Aussetzen hat nicht aufgehört. Er hat sich dann halt wütend auf die Box gesetzt und nicht mehr gespielt. Der tontechnische Psychologendienst hat ihn dann zu beruhigen versucht, hat ihn ziemlich leise gedreht und er hat dann weitergespielt, also, paar Lieder haben wir dann halt noch gespielt. Später hat sich dann herausgestellt, dass das Krachen an seinem niegelnagelneuen und sauteuren Top gelegen ist, das ist jetzt quasi kaputt. Na ja, aber wir nehmen das Leben ja mit Humor und haben dann trotzdem gefeiert.
Tja, ansonsten. In der "Traminer Weinstube" in Graz haben wir immer gern gespielt, dort war's immer so richtig geil. Ein kleines, dunkles Kellerloch mit besoffenen Punk-Rockern wo's um nicht viel geht, so was passt! Und das "E.K.H." in Wien lieben wir sowieso. Auch wenn wir dort schon oft auch halbwegs schlecht gespielt haben, dort zu sein ist immer eine Freude! Im "Konket" in Hohenems wars auch sehr, sehr nett. Überhaupt hängts für uns vor allem davon ab, ob wir nette Leute kennenlernen, mit denen man was zu reden hat und gut feiern kann
10. Welche Band, tot oder lebendig, würdest Du/Ihr mal gerne live sehen?
Tot: DEAD KENNEDYS u. REFUSED (aber in 'nem Squat!). Die RAMONES hab' ich zum Glück bei ihrem letzten Ösi-Konzert noch gesehen.
Lebendig: MINISTRY
Die anderen E.M.S.ler musst du selber fragen.
11. Was ist so für die nähere Zukunft geplant?
Jetzt sind wir mal vor allem damit beschäftigt, die Band wieder fit zu machen. Dem Bernhard sein Ausstieg hat halt schon ein riesiges Loch gerissen. D.h. daran arbeiten, dass der Daniel die Sachen spielen lernt und sich halt überhaupt mit der Band und Musik zusammenfügt. Der Bernhard hat ja auch gesungen, also fehlt uns auch das. Jetzt müssen sich die anderen da auch verstärkt einbringen und mitsingen. Also du kannst dir sicher vorstellen, dass das verdammt viel Arbeit ist. An neuen Liedern zu basteln fangen wir auch wieder an.
Ende Oktober kommt dann die neue Platte raus, ist eine split-LP mit BBS PARANOICOS (sehr nette Band aus Chile, die spielen melodischen Hardcore mit spanischen Texten). Ab 22. Oktober sind wir dann 2 Wochen auf Tour.
Wollt noch sagen, dass es mir leid tut, dass ich da nicht geschlechtsneutrale Sprache verwendet habe, aber ich bin mir dessen sehr wohl bewusst und hoff' mal, dass auch die LeserInnen dieses Interviews ein Verständnis für patriachale Verhältnisse in unserer Gesellschaft und sexistischen Elementen auch in unserer Sprache haben. Aber mir ist auch schon öfter aufgefallen, dass geschlechtsneutrale Sprache auch von Leuten angewendet wird, die damit ihren Sexismus verbergen und sich halt unangreifbarer machen. Aber es war mir auch zu mühsam, das Interview jetzt auf das da durchzuchecken (ist ja ein schriftliches Interview).
Vielen lieben Dank, dass du dieses Interview mit uns geführt hast. Wir sehen uns auf der PARANOIA!-5-Jahre-Abschiedsparty!!